Stout, Maria
antwortete nicht auf ihr Flehen, sondern zischte ihr im Befehlston zu: "Bleib
hier!" Und noch immer in fast völliger Dunkelheit machte er sich auf den
Weg ins Wohnzimmer.
Als der
Eindringling ihn sah oder - wahrscheinlicher - hörte, machte er sich auf die
Flucht zur Haustür hinaus. Hannahs Vater setzte ihm nach, schoss auf ihn und
traf ihn "durch puren Zufall", wie es einer seiner Anwälte später
ausdrückte, in den Hinterkopf. Der Mann war sofort tot. Zufällig fiel er auf
den Gehsteig zwischen Rasen und Bordstein; das bedeutete, formal betrachtet,
dass Hannahs Vater einen unbewaffneten Mann auf offener Straße erschossen
hatte.
Es war
seltsam, ja, unglaublich, aber keiner der Nachbarn kam auf die Straße.
"Danach
war es so still. Absolut totenstill", sagte Hannah dort in meinem Büro zu
mir.
Die
Polizei kam sehr schnell, nachdem Hannahs Mutter angerufen hatte, gefolgt von
einigen weiteren Leuten und einem geräuschlosen Krankenwagen. Schließlich
wurden ihr Vater und ihre Mutter zum Polizeirevier mitgenommen.
"Meine
Mutter rief ihre Schwester und meinen Onkel an und bat sie, für den Rest der
Nacht bei mir zu bleiben, als wäre ich plötzlich wieder ein kleines Mädchen.
Sie waren keine große Hilfe. Sie waren ziemlich hysterisch. Ich glaube, ich war
einfach wie betäubt."
Am
nächsten Tag und in den darauffolgenden Wochen fand das Ereignis großes
Interesse bei den lokalen Medien. Der Schuss war in einem ruhigen, bürgerlichen
Vorort gefallen. Der Schütze war ein normaler, bürgerlicher Mann, der nie durch
gewalttätiges Verhalten aufgefallen war. Er war nicht betrunken und hatte keine
Drogen konsumiert. Der tote Mann war ein bekannter Verbrecher, ein
Drogensüchtiger, und unmittelbar, bevor auf ihn geschossen wurde, war er durch
ein Fenster in das Haus eingebrochen. Außer dem Staatsanwalt bestritt niemand,
dass er ein Räuber war oder dass Hannahs Vater ihn verfolgt und erschossen
hatte, weil er in das Haus eingedrungen war.
In diesem
Fall ging es um Opferrechte. Es ging um das Recht auf Waffenbesitz. Es ging um "get
tough on crime" (unnachsichtige Strafverfolgung). Der Fall illustrierte
deutlich die Gefahren, die es mit sich bringt, wenn Bürger das Recht in die
eigene Hand nehmen. Oder vielleicht zeigte er auch schlüssig, dass Hauseigentümer
weiter gefasste Rechte haben sollten. Die ACLU* echauffierte sich und die
NRA** noch mehr.
Wie Hannah
gesagt hatte, fand ein langer Prozess statt und dann ein ebenso langes
Berufungsverfahren. Schließlich wurde Hannahs Vater des Totschlags für schuldig
befunden und zu einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren verurteilt. Die
Anwälte waren der Meinung, dass es wahrscheinlich auf "nur" zwei oder
drei Jahre hinauslaufen würde.
Die
Nachricht, dass der Direktor einer High School zu zehn Jahren Gefängnis
verurteilt worden war, weil er einen Einbrecher
*
Anmerkung des Übersetzers: Die American Civil Liberties Union (ACLU) ist eine
US-amerikanische nichtstaatliche Organisation, die 1920 gegründet wurde. Sie
setzt sich für Bürgerrechte und Anliegen des Liberalismus ein. Eine ähnliche
Organisation in Deutschland ist die Humanistische Union.
**
Anmerkung des Übersetzers: Die National Rifle Association (NRA) ist eine
US-amerikanische nichtstaatliche Organisation, die den Waffensport fördert und
für das Recht auf Waffenbesitz eintritt. Die NRA bezeichnet sich selbst als "die
älteste Bürgerrechtsorganisation der USA". Nach eigenen Angaben sind 4,2
Millionen Personen und 10.700 Vereine Mitglieder der NRA.
auf dem
Rasen vor seinem Haus erschossen hatte, erregte die Gemüter. Von allen Seiten
hagelte es Protest: Das Urteil sei verfassungswidrig. Es sei gegen den
gesunden Menschenverstand und das Rechtsempfinden. Der Verurteilte hätte
Selbstjustiz verübt und das Recht verletzt. Er sei ein amerikanischer Held und
hätte seine Familie beschützt. Er sei ein gewalttätiger Irrer. Er sei ein
Märtyrer für ein hehres Ziel, für viele hehre Ziele.
Inmitten
all dieser Aufregung studierte Hannah an der Universität und schrieb, kaum
vorstellbar, Einsen, und bewarb sich an medizinischen Hochschulen -
Aktivitäten, auf denen ihr bedrängter Vater dogmatisch bestand.
"Er
wollte es einfach nicht zulassen, dass mein Leben durch all die 'Dummheit'
ruiniert würde. So hat er es gesagt."
Und Hannah
wurde von fast jeder medizinischen Hochschule angenommen, bei der sie sich
beworben hatte, trotz des Dilemmas, in dem ihr Vater steckte. Sie sagte zu
mir:
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