Sträflingskarneval
auf die Entscheidung des Großmeisters an, und der hat ihn gehen lassen. Dann plötzlich, nach einem Jahr, hat es angefangen. Ramon MacDermot und Colin haben sich öfters bei meinem Vater Fergus zu Hause getroffen. Sie verschanzten sich in seinem Arbeitszimmer und redeten stundenlang. Ich habe nie verstanden, wieso sich der Anführer der Formori und der Großmeister bei uns trafen. Das war in der Geschichte des Ordens noch nie vorgekommen. Nach dem fünften Besuch von Ramon, an dem Colin nicht zugegen war, wusste ich schließlich warum …lasst es mich euch erzählen ...“
Lawren stand dicht an die Wand gepresst, gut versteckt hinter dem bodenlangen, dicken Samtvorhang in Fergus’ McGraths kostbar eingerichtetem Arbeitszimmer seiner prachtvollen Villa, außerhalb der Kleinstadt Clifden. Wachsam lauschte er und spähte immer wieder durch einen winzigen Spalt am Vorhang in den Raum hinein. Nur ein paar Meter entfernt saß Ramon MacDermot in dem lederüberzogenen Lehnstuhl von Fergus, was Lawren nervös machte. Wieso hatte der Formori – der erklärte Feind des Druidenordens – ausgerechnet auf dem Stuhl seines Vaters Platz genommen? Außerdem fragte er sich nicht zum ersten Mal, seit er sich heimlich ins Zimmer gestohlen hatte, warum diesmal nicht auch der Großmeister des Ordens eingetroffen war. Er war bislang immer gegenwärtig gewesen, wenn der Formori auftauchte. Doch bisher hatte sein Vater beharrlich über jeden ihrer Besuche geschwiegen, doch heute sollte es anders werden, Lawren wollte die Wahrheit herausfinden.
Schließlich begrüßte eine volltönende Stimme die Anwesenden und Lawren erschrak. Sein Vater und Ramon MacDermot wandten sich dem Neuankömmling zu, der auf der Türschwelle stand: Es war niemand geringerer als sein früherer Lehrer Bartholemeus Hinthrone. Groß, schlank und mit dichtem, braunem Haar lächelte er den beiden Wartenden verschmitzt zu. Lawren traute seinen Augen kaum, und er musste sich dringend beruhigen, bevor es jemandem auffiel, dass sich ein heimlicher Zuhörer unter ihnen befand. Sein Vater würde keine Sekunde zögern, seinen ungehorsamen Sohn vor den Augen des Besuches zu verprügeln. Das hatte er schon öfters getan, und Lawren hatte daraus seine Lektionen gelernt. Umso wichtiger war es, unentdeckt zu bleiben. Bartholemeus kam unterdessen ins Arbeitenszimmer und reichte Fergus McGrath und Ramon MacDermot geschäftsmäßig die Hand.
„Ihr seid also der Überläufer von Colin Donnan“, stellte Ramon beinahe belustigt fest, während ein hinterhältiges Lächeln seine jung gebliebenen Gesichtszüge umspielte. Obwohl er – laut mehrerer Aussagen – bereits die Vierzig überschritten hatte, war ihm davon nichts anzusehen. Mit scharfem Blick musterte er den Spion, dann nickte er zufrieden.
Lawren schluckte merklich und musste die Neuigkeit, dass Bartholemeus Hinthrone ein Spion sein sollte, erst einmal verdauen. Dem nicht genug, ihm wurde schlagartig bewusst, dass sein Vater demnach auch spionierte. Aber doch nicht etwa für die Feinde?
„Die bisherigen Verhandlungen mit dem Großmeister sind gescheitert“, erklärte Ramon ohne Umschweife und bat Bartholemeus mit einem Wink neben Fergus Platz zu nehmen. „Doch so einfach lasse ich mich von ihm nicht unterkriegen. Colin verlangt von mir einen Waffenstillstand. Aber solange er unser rechtmäßiges Erbe besitzt, kann ich niemandem trauen, und schon gar keinen Waffenstillstand unterzeichnen.“
„Wo genau liegt dann Euer Problem?“, wagte Bartholemeus ihn darauf anzusprechen.
„Das fragt Ihr noch?“ Ramon wurde wütend. „Wir wissen alle, dass die Formori das Vorrecht besitzen. Es ist unser geheimes Wissen der alten Zeit – unser Schatz –, welches der Orden hütet. Und falls Sie es vergessen haben sollten, die Formori sind immer noch die ersten Siedler Irlands, uns gehört das Land, eingeschlossen alle Ländereien, die sich der Orden vor Jahrhunderten einfach genommen hat. Schon meine Vorgänger sind mit Verhandlungen nie weitergekommen, daher wird es Zeit, endlich zu handeln. Wäre Colin bereit, auf unser Angebot einzugehen, würde ich ihn dafür auch entlohnen, aber er besteht hartnäckig auf seinem Standpunkt. Er ist genauso verbohrt wie alle Großmeister vor ihm, deswegen ist dieser endlose Streit überhaupt erst ausgebrochen. Er müsste mit uns lediglich das Wissen teilen und uns das zurückgeben, was uns auch rechtmäßig gehört. Die Menschheit wird die Wahrheit schon verkraften. Die Sache mit
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