Sträflingskarneval
auf diese – ihrer Meinung nach – logische Schlussfolgerung gestoßen. Dass er gar nicht in die Politik wollte – obwohl er sogar Jura studiert hätte, wenn es nach seinem Onkel gegangen wäre – war ihnen offensichtlich entweder nicht klar oder schlichtweg egal. Fassungslos schüttelte Ryan den Kopf.
„Es ist eigentlich noch viel zu früh für dich“, flüsterte Kendra. „Aber bitte pass auf dich auf und nimm dich in Acht. Gib niemandem einen Grund etwas Falsches zu denken. Die Gefahr ist in dem alten und wieder eingeführten Gesetz gut versteckt. Es hat rein gar nichts mit den Rebellen zu tun. Bitte ihr zwei … kommt heute Abend bei Rossalyn und mir vorbei, dann können wir in Ruhe darüber reden. Bitte Ryan, es ist wichtig, wichtig für dich!“
Er kam nicht mehr zum Antworten, Kendra drehte sich abrupt um und lief in den Saal zurück, wo ihre jüngere Schwester schon ungeduldig wartete. Ryan und Kimberly standen wie angewurzelt da und schauten sich schweigend an. Kimberley sah immer noch den Unglauben ihres Freundes sich in seinen Augen und seiner Miene widerspiegeln; und er erkannte deutlich die Vorsicht in ihrem Blick.
„Wenn unsere Zeugenaussagen nicht benötigt werden …“, sagte er schließlich schnippisch und schielte bedeutungsvoll zur offenen Tür, „… können wir auch genauso gut gehen. Oder willst du das nächste Schmierentheater sehen?“, fügte er leise hinzu.
Kimberly schüttelte den Kopf und ging voraus, Ryan folgte ihr auf dem Fuß und eilig kehrten sie nach Clifden zurück, um sich später mit den beiden Schwestern zu treffen. Außerdem benötigte er dringend frische Luft und ein wenig Zeit, um über das Gesagte nachzudenken. Das alles war absoluter Schwachsinn!
*
Der Abend kam schnell, schneller als gedacht. Immer noch grübelte Ryan über die Worte nach, die ihn so überrascht hatten. Wie konnte Bartholemeus Hinthrone es auch nur in Erwägung ziehen, dass er ihm seine Position streitig machen wollte? Wieso hatte er ihn nicht einfach gefragt? Dann hätte er ihm eine ehrliche Antwort geben können. Doch so war alles total idiotisch. Er verabscheute Geheimniskrämerei, aber genau das war es, was der neue Großmeister tat und herausforderte. Hinthrone verbreitete Gerüchte und stachelte damit die Leute auf. Zu seiner Erleichterung begann in einer Woche das letzte Schuljahr, und er freute sich schon darauf. Die Schule würde ihn von dem ganzen Unfug ein wenig ablenken, und das war wichtig, denn er benötigte gute Noten für seinen Abschluss.
Zu Beginn des neuen Schuljahres würden auch die anderen Mitschüler und all seine Schulfreunde, die ihre Sommerferien zu Hause verbracht hatten, wieder nach Omey Island zurückkommen. Sie hatten die Zeit bitter nötig gehabt, denn bei dem Angriff auf das Internat waren viele verwundet worden. Doch ein Schüler, Gillean Jaramago, hatte wirklich Pech gehabt. Er war bei dem Überfall sehr schwer verletzt worden und lag seitdem im Koma im Hospital von Galway. Obwohl er und Ryan eigentlich nie miteinander befreundet gewesen waren, machte Ryan sich Sorgen um ihn, trotz der Tatsache, dass er ein Freund von Aidan McGrath war. Allerdings wusste er auch, dass Gilleans Mutter ebenfalls verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden war, einen Vater gab es nicht. Irgendwie fühlte er sich durch diesen Umstand ein wenig mit ihm verbunden.
Mit all diesen Gedanken verging der Nachmittag, bis der Chauffeur des Ordens – der extra für sie zuständig war und früher für Colin Donnan gearbeitet hatte – sie abholte und vor dem Haus von Kendra O’Neill absetzte. Er würde wie gewohnt auf sie warten. Nächstes Jahr wollten die beiden Freunde unbedingt ihren Führerschein machen, dann waren sie wenigstens auf niemanden mehr angewiesen.
Das Haus war im alten irischen Stil erbaut. An der weiß getünchten Außenfassade rankte Efeu in die Höhe, an den kleinen Fenstern hingen heidnische Symbole an Schnüren herab - darunter der Baum des Lebens oder die bekannte Triskele - und ein dunkles Reisigdach vervollständigte das Gebäude. Rundherum waren kunstvolle, bunte Blumenbeete angelegt.
Kendra begrüßte sie herzlich und ihre Anspannung vom Vormittag schien wie weggeblasen. Im Wohnzimmer wurden sie von Rossalyn erwartet, die mit geröteten Augen in einem mit waldgrünem Samt überzogenen Ohrensessel am Kamin saß und ziemlich geistesabwesend wirkte. Kendra forderte die jungen Leute zum Sitzen auf, während sie Getränke und Gläser aus der Küche holte
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