Sträflingskarneval
Nach nicht einmal einer Woche entfernte die Krankenschwester die Verbände um seine Hände, und die blauen Flecken und Striemen waren kaum noch sichtbar. Lediglich die Stichwunde verlangte von ihm, dass er ein paar Tage länger im Bett verbringen musste, bis die Fäden gezogen wurden und er ohne Schmerzen wieder laufen konnte.
Nach fast drei Wochen auf der Krankenstation war der Tag von Aidans Entlassung gekommen. Samstagsmorgens kam Mrs. Buckley in Begleitung von Ryan zu ihm, um ihn in die Schulküche zu bringen, wo er ab sofort arbeiten würde. Aidan trug Ryans Bluejeans, die er mit einem Gürtel fixieren musste, damit sie ihm nicht über die abgemagerten Hüften rutschten. Ein wenig schlackerte der Stoff der Hose um seine dünnen Beine, dafür aber stand ihm das dunkelblaue Hemd richtig gut. Die Ärmel hatte er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt und am Kragen war es nicht ganz zugeknöpft, wobei es lässig über dem Hosenbund hing. Seine rauchgrauen Augen glänzten glücklich und es schien ihn nicht zu stören, dass er momentan noch keine Schuhe besaß. Ryan hätte ihm gerne ein Paar Turnschuhe geliehen, aber Aidan war einige Zentimeter größer, sodass ihm seine zu klein waren. Er würde später ein Paar bekommen. Andere Schüler trauten sie sich nicht zu fragen.
Zu dritt betraten sie die Küche. Sie befand sich im Untergeschoss, mit direktem Ausgang zum eigens angelegten Gemüse- und Obstgarten. Die Großküche war ein rechteckiger Raum, der an die fünfzehn Meter in der Länge und mindestens zehn Meter in der Breite maß. An der Wand, einer großen Fensterfront gegenüber, standen zahlreiche hohe Regale mit Geschirr, Bestecken, Schüsseln, Töpfen und andere Küchenutensilien und einige geräumige Kühlschränke. An der Fensterfront reihten sich mehrere Spülbecken und vier Geschirrspüler aneinander. Genauso viele Herde und Backöfen befanden sich an der Stirnseite des Raumes, ausreichend, um für die Zahl der hier lebenden Menschen zu kochen. Direkt in der Mitte standen sieben verschiedene Arbeitsplatten, an denen vierzehn Leute mit den Vorbereitungen für das heutige Mittagessen beschäftigt waren.
„So, Aidan, das ist ab heute Ihr neuer Arbeitsbereich“, sagte Mrs. Buckley stolz. Mit einer Handgeste zeigte sie ihm die Küche und hielt dann nach der Köchin Ausschau, die hier das Sagen hatte und mit der sie bereits seit Jahren gut befreundet war.
Just in diesem Moment hoben die Angestellten ihren Kopf und beäugten Aidan teils skeptisch, teils lächelnd. Aber keiner schien ihn zu verachten.
„Hier müssen Sie keine Angst mehr haben“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Jeder, der in der Küche arbeitet, steht auf unserer Seite und mit der Köchin ist bereits alles besprochen. Sie helfen, wo Sie können.“
Innerlich beruhigter, aber trotzdem nervös, nickte er Ophelia Buckley zu und tauschte einen kurzen Blick mit Ryan aus, der neben ihm stand und aufmunternd auf die Schulter klopfte.
„Du schaffst das schon.“ sagte Ryan zuversichtlich.
„Wenn du das sagst.“ Aidan lächelte nervös.
Eine ältere, mollige Frau kam aus einer der drei angrenzenden Vorratskammern in die Küche spaziert. Ihr graues Haar war mit einem Haarnetz bedeckt und sie trug eine weiße Schürze, in die ihr Name eingestickt war. „Ophelia“, sagte sie knapp und blieb direkt vor Aidan McGrath stehen. „Mein Name ist Bethany Clarks. Ich bin die Küchenchefin und Köchin. Die da …“, dabei zeigte sie auf ihre fleißigen Mitarbeiter, die nun wieder ihrer Arbeit nachgingen, „… gehören zum Team. Wenn du mal Hilfe brauchst, kannst du jeden fragen. Und bloß keine falsche Scheu, hier wird keiner gefressen, besonders niemand, der mir von Ophelia persönlich empfohlen wurde. Am besten bringe ich dich zu Leah, sie wird dir erst einmal alles zeigen. Halte dich an sie und du kommst zurecht.“
Zusammen gingen sie zu einem der hinteren Arbeitsplätze, wo eine junge, hübsche Blondine gerade klein geschnittene Karotten in eine riesige Schüssel warf. Sie war vom Aussehen her höchstens fünfundzwanzig und keiner der beiden jungen Männer hatte sie je zuvor auf der Insel gesehen. Aber schon auf den ersten Blick war Leah ihnen sympathisch. Auch die restliche Küchenmannschaft kannten sie kaum, nur ein oder zwei Gesichter kamen ihnen bekannt vor. Im Gegensatz dazu wussten alle, wer Ryan und Aidan waren.
„Das ist Leah“, bedeutete die Köchin und riss die beiden aus ihren Gedanken. „Leah, das ist Aidan. Ich hatte dir von ihm
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