Sträflingskarneval
warum eigentlich.
„Nun, wie soll ich sagen … Aidan muss sich an die Arbeit in der Küche erst gewöhnen.“ Leah wirkte amüsiert. „Außerdem muss er dringend lernen, Kartoffeln zu schälen.“ Sie lachte und erzählte ihm, was heute passiert war.
Ryan fiel in das Lachen mit ein, denn das konnte er sich wunderbar vorstellen. Seine Schadenfreude wich aber schnell der Verwunderung. Sie standen vor einer Vorratskammer. „Wo ist er denn?“
„Da drin.“ Sie deutete auf die Tür und öffnete sie behutsam. „Die Zimmer für das Personal sind alle belegt und bei den Schülern kann er nicht schlafen. Daher haben Mrs. Buckley und Mrs. Clark ein bisschen umgeräumt. Es passen genau ein Klappbett und ein Tisch rein, aber besser als gar nichts.“
Drinnen war es dunkel, doch durch ein schmales Fenster fiel Mondlicht herein und beschien Adains Kopf. Er schien tatsächlich tief und fest zu schlafen. Eingekuschelt in eine bunt gemusterte Decke lag er im Bett. Neben ihm stand der besagte Tisch und darauf eine Wasserflasche und ein Glas. An den Seiten standen zwei Regale, beladen mit Großpackungen Mehl, Zucker und eine Menge Konserven.
Sofort beschloss Ryan, Aidan schlafen zu lassen und morgen Abend wieder zu kommen. Er verabschiedete sich mit einem zufriedenen Gefühl von Leah, die ihm noch zwei Stücke Schokoladenkuchen vom heutigen Nachtisch für ihn und Kimberly mitgab und dann ebenfalls in ihrem Zimmer verschwand.
*
In den folgenden Wochen besuchte Ryan Aidan jeden Abend, und der freute sich wie ein Honigkuchenpferd darüber. Manchmal kam auch Kimberly mit und beide halfen oft freiwillig, kurz vor Dienstende, die Küche zu säubern. Sie wurden gern gesehene Gäste, die von Leah ab und an ein paar Süßigkeiten zugesteckt bekamen.
Meistens teilte Ryan die Leckereien mit Aidan, der selbstverständlich nicht widerstehen konnte. Eine weitere positive Seite an der Arbeit in der Küche war, dass Aidan – der sich als sehr lernfähiger und fleißiger Küchenhelfer entpuppte – von der Köchin meist extragroße Portionen zu essen bekam, und so endlich wieder etwas zunahm. Er wirkte zwar noch immer leicht untergewichtig, was selbst zusätzlicher Nachtisch so schnell nicht beheben konnte, aber er befand sich auf dem Weg der Besserung. Ganz besonders, weil er sich inzwischen eingelebt hatte und sich blendend mit Leah verstand, die gerne ihre Scherze mit ihm trieb, wenn die Arbeit es zuließ.
Die gemeinsame Zeit jeden Abend und die Dankbarkeit, die Aidan gegenüber Ryan empfand, schweißte die beiden jungen Männer immer mehr zusammen, ohne dass sie es bewusst wahrnahmen.
Mittlerweile war es Mitte November. Es war wieder einmal ein Samstag, und Kimberly hatte sich gleich nach dem Frühstück mit ihren Schulsachen und einer Menge Unterlagen auf den Weg zu Gillean gemacht. Ryan blieb zurück und wusste schon genau, was er tun wollte. Heute würde er Aidan früher besuchen. In der morgendlichen Post war ein Brief von Rossalyn gewesen, den er ihrem Sohn heimlich zustecken sollte. Das Besuchs- und Redeverbot zwischen den beiden bestand weiterhin und er bezweifelte, dass es jemals vor Ablauf der Strafe aufgehoben werden würde.
„Hey Aidan … wo bist du?“, rief Ryan über das Geklirre und Geklapper in der Küche hinweg, als er eintrat. Beiläufig grüßte er einige vom Küchenpersonal, die er inzwischen besser kannte, bis ihm jemand ein Zeichen gab, er sollte bei Aidans Schlafplatz nachsehen. Er bedankte sich und machte sich sofort auf den Weg. An der geöffneten Tür blieb er stehen. „Was machst du hier?“
Irgendetwas stimmte nicht. Obwohl er nicht wusste, was passiert war, konnte er augenblicklich Aidans Verzweiflung spüren. Er saß weinend und zitternd auf dem Bett, die Hände vor das Gesicht geschlagen und schien mit den Gedanken weit weg zu sein.
„Was ist denn los?“, fragte Ryan und setzte sich neben ihn. „Ich … also deine Mutter … sie hat dir geschrieben“, stammelte er unsicher und musterte Aidan. Bei der Erwähnung seiner Mutter schien er sich zwar etwas zu beruhigen, konnte aber trotzdem neue Tränen nicht verhindern. Obwohl Ryan nicht wusste, was vorgefallen war, hätte er am liebsten mitgeweint. Er beugte sich zu seinem Freund herab und legte tröstend einen Arm um seine Schultern. Aidan drückte sich schluchzend an ihn, während Ryan ihn ermutigend festhielt.
Später erinnerten sie sich immer wieder an diesen kostbaren Moment zurück. Die Nähe des anderen war für sie plötzlich
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