Strafbataillon 999
sie mir?« fragte Starobin wieder. »Los, gib sie mir – die Sache ist klar, sie ist eine Verräterin!«
»Ja. Die Sache ist klar«, sagte Denkow langsam, drehte sich um und ging aus dem Zimmer.
In diesem Augenblick setzte der deutsche Gegenstoß ein.
Es war ein magerer Angriff – aber er wurde geführt mit der verzweifelten Wut der Soldaten, wie sie nur aus Angst und Furcht und aus Selbsterhaltungstrieb entspringen kann. Mit leichter Flak auf Selbstfahrlafetten, mit einigen Sturmgeschützen und Panzerabwehrkanonen, mit geballten Ladungen und Handgranaten gingen die ungenügenden Reserven und die in Eile gesammelten, versprengten Verbände gegen die Russen vor. Es war klar: Wenn es den Russen gelang, hier durchzubrechen, den Einbruch zu erweitern und nach Westen vorzustoßen, dann bestand nicht nur Gefahr für Einkesselung großer deutscher Verbände, sondern auch Gefahr für die ganze deutsche Front. So schickte sogar die Luftwaffe einige Sturzkampf-, Schlacht- und Jagdflugzeuge zur Unterstützung der in schwere Kämpfe verwickelten Infanterie.
Die Sowjets gingen zurück. Einige Panzer brannten. Die restlichen walzten die alten Wege nach hinten noch einmal flach, überrollten die ehemalige deutsche Stellung und verschwanden hinter den Wäldern, von wo sie gekommen waren. Schwere Straßenkämpfe um die verlorenen Ortschaften entbrannten, oft von Haus zu Haus in verbissenen Nahkämpfen. Die fanatischen, doch unausgebildeten Partisanen des Oberleutnants Denkow hatten schwere Verluste – bis sich die restlichen wieder in die schützenden Dickichte und in die Erdbunker des Waldes von Gorki verkrochen.
Starobin und seine Gruppe blieb am Leben und schleppte Tanja mit – hinter die alten russischen Linien.
Die verlorenen deutschen Stellungen wurden wieder besetzt und von der sowjetischen Infanterie gesäubert. So war das Ganze wie ein Spuk, der aus der Dunkelheit der Nacht hervorgebrochen war, beim Einbruch der nächsten Nacht wieder zerstoben, nur die ausgebrannten russischen Panzer und einige deutsche Sturmgeschütze sowie über die Ebene verstreute Leichen zeigten, daß vor kurzem hier eine wütende Schlacht getobt hatte.
Krüll hatte Glück.
Als der deutsche Gegenangriff begann, lag er in einem flachen Granattrichter im ehemaligen Niemandsland zwischen der deutschen und der russischen HKL. Bis dorthin hatte er sich langsam, nach und nach vorarbeiten können, kriechend, Meter um Meter, immer weiter über die Ebene, die ihm keine Deckung bot. Er hatte sehr viel Umsicht und Geduld gezeigt – aber nicht aus bewußter Überlegung, sondern einfach aus Angst. Er hatte Angst, den Kopf zu heben und um sich zu sehen. Er hatte Angst aufzustehen und loszurennen, wie es die anderen getan hatten. So kroch er – und das rettete ihm das Leben.
Als die russischen Panzer und die Infanterie vor dem deutschen Angriff zurückzufluten begannen, lag er in seinem Trichter und spielte den toten Mann. Ab und zu hörte er hastende Schritte und aufgeregte Worte der Russen, die an ihm vorbeiliefen, um ihre alten Stellungen zu erreichen. Er rührte sich nicht, er rührte sich auch dann nicht, als nahe an ihm ein rasselndes, dröhnendes Ungetüm vorbeifuhr, ein Panzer, und alles in ihm vor Angst und vor Verlangen aufzuspringen und blind davonzulaufen, schrie; doch die gleiche Angst lähmte ihn, ließ ihn kaum atmen und blieb in seinen Knochen auch dann stecken, als sich das Motorengebrumm des Panzers entfernt hatte und schließlich verstummt war.
Er war ein glaubwürdiger Toter: Seine Tarnjacke war voller Blut – aber das Blut stammte nicht von ihm, sondern von Unteroffizier Kentrop. Eine deutsche Granate hatte diesem den halben Brustkorb weggerissen, als die eigene Artillerie Sperrfeuer schoß. Mit letzter Kraft hatte er sich in einen Granattrichter geschleppt – und dort fand ihn Krüll, auf seinem Kriechgang über das freie Feld. Kentrop lebte noch, aber Krüll, der Deckung suchte, schob ihn auf den Rand des Trichters und blieb so eine Weile, halb unter dem verblutenden Kentrop verborgen liegen – bevor er wieder weiterzog.
Als die letzten Russen vorbeigezogen waren und lange, lange nichts zu hören war, wagte er endlich den Kopf zu heben.
Die Ebene schien leer zu sein, und die erste Dämmerung färbte den Schnee und den Himmel grau. Er wartete, bis es Nacht war, dann kroch er weiter. Er hatte keine Schmerzen mehr in den gefühllos gewordenen Füßen, wie noch zwei oder drei Stunden vorher. Er war ruhig, und die Angst war von
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