Strafzeit
dazu?«
»Ich … ich bin sprachlos«, stotterte Claudia Mielke.
»Frau Mielke!« Müller ging ein paar Schritte auf die Witwe zu und lehnte sich wieder über seinen Schreibtisch. Seine dunkelblaue Krawatte mit roten Querstreifen baumelte über dem beigefarbenen Telefon.
»Als Kriminalbeamter begegnen einem im Laufe vieler Jahre so einige Mörder. Die einen verabscheut man, weil sie zum Beispiel aus Raffgier getötet haben. Für andere wiederum hat man Verständnis, weil sie aus Not handelten.«
Er schaute nun erstmals zum Kollegen Winterhalter, der beifällig nickte.
»Sollten Sie mit der Ermordung Ihres Mannes tatsächlich etwas zu tun haben, dann hätten Sie doch aus größter finanzieller und vielleicht auch aus emotionaler Not gehandelt. Dafür würde auch die Justiz Verständnis aufbringen«, redete Müller auf die zunehmend fassungslosere Frau ein.
Winterhalter überlegte: Müller wollte zweifelsohne ein Geständnis.
Jetzt und hier.
»Frau Mielke, welcher Mann war Freitag spätabends bei Ihnen zu Hause?«, beharrte Müller.
»Ich möchte meinen Anwalt anrufen. Ich sage kein Wort mehr ohne meinen Anwalt«, rief Claudia Mielke.
Die erste Träne kullerte ihr die Wangen herunter. Sie begann zu schluchzen.
»Sie können gehen, Frau Mielke«, beendete Müller überraschend die Vernehmung. »Aber verständigen Sie Ihren Anwalt und halten Sie sich zu unserer Verfügung.«
Winterhalter schaute den Kollegen verdutzt an.
Claudia Mielke verließ überstürzt Müllers Büro.
»Sie meinet wirklich, die hät des ei’g’fädelt?«
Müller lehnte sich zufrieden zurück und musterte den Kollegen: »Die kriegen wir. Die kriegen wir ganz bestimmt noch.«
Winterhalter blieb die direkte Antwort schuldig: »Für Sie au no e weng Selbschtg’schlachtetes?«
9. RAVENSBURG
Bei Hummel überwog mittlerweile die Vorfreude auf das abendliche Spiel. Wie viele düstere Jahre hatten er und sein Team sich in der zweiten Liga abgekämpft, ja, waren zeitweise sogar froh gewesen, überhaupt noch Eishockey sehen und spielen zu können. Mehrfach war der SERC am finanziellen Abgrund entlanggeschlittert, wie so viele andere Vereine auch. Nun, einen Sieg in Ravensburg vorausgesetzt, würden sie endlich wieder im Oberhaus angekommen sein – dort, wo ein solcher Traditionsclub auch hingehörte. Die finanziellen Sorgen waren damit keineswegs ad acta gelegt. Aber es war ein gutes Gefühl, dass Schwenningen möglicherweise bald wieder ganz groß auf der deutschen Eishockeykarte verzeichnet war.
Wie am Vorabend fuhren sie auf der A 81 Richtung Süden, gen Bodensee – und wie am Vorabend fuhr Klaus deutlich zu schnell. So schnell, dass er beinahe die Abzweigung nach Lindau verpasst hätte, dies aber mit einem halsbrecherischen Lenkungsmanöver wieder auszugleichen vermochte. Vom Rücksitz fielen einige Blätter auf den Boden, mehrere in die Mittelkonsole. Sie waren alle identisch und zeigten die unbeholfene Zeichnung eines Kopfes.
»Was ist das?«, wollte Hummel wissen, der heute anstatt seiner Seidenkrawatte den langen blau-weißen Schal umgebunden hatte.
»Der ominöse Zeuge aus dem Eisstadion«, meinte Riesle stolz und blickte abwechselnd die Zeichnung und Hummel an. »Gut, was?«
»Schau auf die Straße«, mahnte Hubertus. »Na ja«, meinte er dann. »Ich weiß ja nicht, wie der Mensch wirklich aussieht, aber falls das hier …« – er tippte auf den Zettel – »ihm gleicht, würde ich zu diversen Schönheitsoperationen raten. Mal im Ernst, Klaus: Ich finde diese Zeichnung ein wenig … lächerlich.«
»Banause«, knurrte Riesle.
»Und warum hast du das vervielfältigt?«
»Wir werden das Phantombild im Stadion verteilen.«
»Klaus«, sagte Hummel in seinem mahnenden Lehrertonfall, den Riesle nicht ausstehen konnte. »Wir sind erstens nicht die Polizei, zweitens handelt es sich bei dem Mann um einen Zeugen dafür, dass Kirk Willys Frau etwas mit dem Ermordeten zu tun hatte – diese Person ist aber nicht der Mörder! Und drittens« – er blickte kurz nach draußen, wo der Bodensee nun schillernd auftauchte – »ist meines Erachtens diese Bordellspur, von der wir im Casino erfahren haben, mindestens genauso vielversprechend.«
Klaus antwortete nicht und trieb stattdessen den Kadett auf die B 33.
Spätestens hier merkte man, dass sie nicht die einzigen SERC-Fans waren. Das mutmaßliche Endspiel hatte viele Hundert Eishockeyanhänger aus dem Schwarzwald und der Schwäbischen Alb in Richtung Oberschwaben getrieben.
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