Strafzeit
Blau-weiße Schals hingen trotz der Kälte aus Autofenstern, und jedes Mal, wenn ein Gesinnungsgenosse an einem anderen vorbeifuhr, gab es ein großes Hallo.
Auch Klaus machte da keine Ausnahme. Höchstens darin, dass er stets der überholende Part war. Er blickte auf die Uhr. »Noch drei Stunden bis zum Spiel, und in zweiundzwanzig Kilometern sind wir in Ravensburg. Das reicht.«
»Das würde sogar fast zu Fuß reichen«, bestätigte Hubertus und genoss ein paar Minuten schweigend die nun wieder vom Bodensee wegführende Fahrt, während sich in seinem Hirn Eishockey, der Mordfall und Elke vermischten. Dann ärgerte er sich darüber, dass seiner getrennt von ihm lebenden Frau an einem solchen Tag immer noch ein Platz in seinen Gedanken zustand. Aber er konnte machen, was er wollte: Sie hatte sich da festgesetzt.
»Haben wir eigentlich Sitzplätze?«, erkundigte sich Hubertus. Bequemlichkeit und zunehmendes Alter hin oder her, ein solch entscheidendes Spiel musste eigentlich im Schwenninger Fanblock verfolgt werden, fand er.
»Wir haben Sitzplätze – und wir dürfen sogar in die VIP-Lounge, mein Freund«, sagte Riesle tiumphierend, der nun schon in Ravensburg Richtung Oberschwabenhalle und Eissporthalle abbog. »Schließlich müsste dieser Zeuge ja eigentlich heute auch einen Sitzplatz haben – wenn er sich schon beim Spiel in Schwenningen einen geleistet hat.«
Viel war noch nicht los rund ums Stadion. Die Schwenninger Autos machten vorläufig noch die Mehrheit aus – und auch die ersten beiden der zwölf gecharterten Fanbusse hatten schon ihren Platz bezogen.
»Warte mal kurz«, sagte der Journalist und nahm zwei der Zettel mit dem Phantombild und eine Rolle Klebeband.
Ohne die Zettel, dafür aber mit Eintrittskarten kam er wieder.
»Drinnen ist noch nicht viel los«, meinte er. »Schmuckes Stadion, aber deutlich zu klein. Nur dreitausenddreihundert gehen da rein.«
Ungerührt setzte er sich wieder ans Steuer, reichte Hubertus eine Eintrittskarte und gab Gas in Richtung Innenstadt, auch wenn die nur ein paar Hundert Meter entfernt lag. »Wir schauen uns da noch mal um.«
Typisch Klaus: Selbst zehn Minuten Fußweg waren ihm schon deutlich zu viel.
»Was hast du mit den Phantombildern gemacht?«, wollte Hubertus wissen.
»Im Stadion aufgehängt«, antwortete Klaus lapidar. »Und um Hinweise an meine Handynummer gebeten.«
Hubertus öffnete wieder den Mund, um einen mahnenden Lehrersatz zum Besten zu geben, entschied dann aber, sich ganz bodenständig an die Stirn zu tippen. Das Wort »Verhältnismäßigkeit« kam im geistigen Wortschatz seines Freundes nicht vor.
Was dieser gleich noch einmal bestätigte: »Wir können ja jetzt in der Innenstadt mal ein paar Einheimische direkt fragen, ob sie den Mann kennen.«
Er steuerte den Wagen in ein Parkhaus und sammelte vom Rücksitz sowie vom Boden weitere Kopien seiner Phantomzeichnung auf.
»Klaus, auch wenn ich mich wiederhole: Das ist nicht der Mörder!«, sagte Hubertus pointiert. Er würde sich kategorisch weigern, an dieser schwachsinnigen Aktion teilzunehmen. Viel lieber hätte er sich jetzt in Ruhe auf dieses wichtige Spiel vorbereitet.
Doch Klaus war in die engen Gassen der Fußgängerzone vorgedrungen, wo sich bereits Eishockeyfans aus beiden Lagern mischten. Trotz der erheblichen Brisanz des Aufeinandertreffens ging man friedlich miteinander um und trank gar das ein oder andere Bier zusammen.
Ravensburg wirkte mit seinen vielen Türmen, nach denen die Eishockeymannschaft »Tower Stars« benannt war, dem mittelalterlichen Gepräge und dem Flair wie eine Schwester von Hubertus’ Heimatstadt Villingen. Er fühlte sich auf Anhieb wohl. Wenn sich Riesle nur endlich wieder normal benehmen würde …
»Hör mal, Klaus. Du hast tatsächlich drei Karten bekommen. Für wen ist denn jetzt die dritte?«
»Für den, der es sich leisten kann«, antwortete Riesle und sprach am Marienplatz ein paar Fans an. »VIP-Ticket zu verkaufen«, murmelte er auffällig-unauffällig. Sofort bekundeten zwei Männer mittleren Alters Interesse. Sie waren offenbar beim Sturm auf die Karten bislang leer ausgegangen.
»Wie viel?«
»Das ist eine VIP-Karte – oberste Kategorie, Essen inklusive. Sagen wir fünfhundert Euro?«
Die Männer winkten empört ab.
Hubertus verlor allmählich die Nerven. Vermutlich würde die Polizei sie wegen Schwarzhandels festnehmen, sodass sie dieses wichtige Spiel nicht in der Eishalle, sondern in der Zelle verbringen müssten.
Der eine
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