Strafzeit
kehrt, lief nun auf Winterhalter zu, stützte sich auf der Schreibtischplatte ab und musterte angriffslustig den Kollegen, als wäre der die zu vernehmende Person.
»Dann wird ein Mann blutüberströmt, ja fast erschlagen an der Brigach entdeckt. Im Krankenhaus versucht man, seine Identität zu ermitteln, findet in seiner Jackentasche eine offenbar mit Lippenstift geschriebene Telefonnummer. Es ist die Nummer von Claudia Mielke, die kurz darauf im Krankenhaus auftaucht, sich aber laut Personal als die Ehefrau des Opfers ausgibt. Sehr ominös, das Ganze.«
»Ominös scho.« Winterhalter ließ seinen Blick von der Schuhsohle zum Kollegen schweifen. »Aber des Ganze reicht doch noch nit aus, um daraus de Schluss zu ziehe, dass Frau Mielke mit dem Tod vu ihrem Ma’ zu tun hät? Und de angebliche Liebhaber jo wohl au nit, zumal der kurz darauf fascht erschlage a de Brigach g’funde worde isch.«
»Winterhalter«, stimmte Müller im gleichen Tonfall an, mit dem man im Gerichtssaal als Staatsanwalt den Angeklagten anredet. »Ich halte das Ganze für ein abgekartetes Spiel und ein Ablenkungsmanöver.«
Müller wandte sich um und wanderte wieder zwischen den Schreibtischen hin und her. Der Weg war mehr oder weniger vorbestimmt, denn das Büro war von recht überschaubarer Größe und reichlich mit Stühlen, Tischen und Tafeln vollgestellt.
»Und was isch mit dem angebliche Gerücht vo de Affäre vo seller SERC-Spielerfrau? Der vum Kirk Willy?«, wandte Winterhalter ein. »Sie wisset scho, des Phantombild, des de Herr Riesle vu dem Zeuge a’gfertigt hat.«
Müller bremste und blickte den Kollegen unwirsch an. »Klatsch und Tratsch, aber keine Realitäten«, meinte er dann, holte Luft und referierte weiter: »Was wir allerdings sicher wissen, ist, dass es um die Ehe der Mielkes alles andere als gut stand. Wenn dieser Gerber tatsächlich ihr Liebhaber ist, war der mit Sicherheit auch ein Grund, um den lästigen Ehemann loszuwerden. Zumal Mielke auch noch drauf und dran war, Haus und Hof zu verspielen. Vergessen wir nicht: Der hätte vermutlich seine Familie ruiniert. Ein starkes Motiv für Frau Mielke, ihren Mann zu eliminieren.«
»Scho möglich«, mischte sich Winterhalter ein. »Aber no’mol: Wieso schlägt dann jemand den Liebhaber fascht dot? Rache wege dem Mord am Mielke?«
»Wie schwer verletzt der Gerber wirklich ist, das sollen die Ärzte erst einmal gründlich untersuchen und uns dann mitteilen. Wenn Sie mich fragen, dann war dieser angebliche Überfall an der Brigach eine inszenierte Sache. Sie haben doch diesen Gerber im Krankenhaus stöhnen gehört? Der hat schauspielerisches Talent!«
»Worauf wollet Sie hinaus?«, fragte Winterhalter und strich mit seinen rauen Fingern über das Foto der Schuhabdrücke.
»Entweder er hat sich die Verletzungen an der Brigach selbst beigebracht. Oder jemand hat sozusagen auf Verlangen zugeschlagen – und die Sache war abgesprochen. Denn Gerber sollte als Opfer dastehen. Vermutlich hat der von ihm Beauftragte einfach zu fest draufgehauen …«
»Und die Alibis von Frau Mielke und ihrem a’gebliche Liebhaber? I geb im Übrige au’ zu Bedenke, dass Frau Mielke jo sogar verschweige wollt, dass de Herr Gerber bei ihr war. Und dabei hät sie ihm doch damit e Alibi verschaffe könne. Und natürlich umgekehrt.«
»Ich halte auch das alles für ein fadenscheiniges Ablenkungsmanöver, um arglos und unschuldig daherzukommen. In Wahrheit ist Frau Mielke eiskalt und berechnend. Ich vermute, es handelt sich um einen Auftragsmord: Für die Frau war das sicher immer noch billiger, als ihren Mann weiter Zigtausende von Euros verspielen zu lassen«, sagte Müller und verschränkte die Arme.
»Interessante, aber ganz schön g’wagte Theorie, Herr Kollege«, sagte Winterhalter und grinste Müller nun leicht spitzbübisch an.
»Nicht halb so gewagt wie Ihr Ausflug zu den ›Blue Heroes‹, Kollege. Sie kennen doch unsere Sicherheitsvorschriften?«
»I bin sehr diplomatisch vor’gange. Und wenn mir mit’em große Polizeiaufgebot dort auf’taucht wäret, dann …«
»Winterhalter«, unterbrach ihn Müller scharf. Dieses ständige Anreden mit dem Nachnamen hatte zwar auch gelegentlich etwas Vertrauliches, weil man auf das »Herr« verzichtete. Mit dem derzeitigen Tonfall klang es aber eher despektierlich. Winterhalter spürte das.
»Zumindest hätten Sie uns vorher über Ihre heimlichen Ermittlungen informieren können. Nicht auszudenken, wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre,
Weitere Kostenlose Bücher