Straight White Male: Roman (German Edition)
etwas Wahres dran.«
»Aber natürlich. Wie heißt es doch so schön: ›Nicht lesen, wiegen sollst du sie.‹«
»Nur zu wahr.«
»Sagen Sie, Mr. Marr«, wollte die Amerikanerin wissen, »wie beurteilen Sie denn das Niveau der Studenten?«
Paige. Diese miese …
»Der eine oder andere ist durchaus in der Lage, einen geraden Satz zu schreiben«, erwiderte Kennedy, sich wohl bewusst, dass ihm gerade sämtliche Anwesenden zuhörten. Er hielt inne und rückte seine Serviette zurecht.
»Ich meine da ein ›Aber‹ zu hören«, sagte Professor Bell.
»Nun ja … mir scheint, dass nur die wenigsten von ihnen begriffen haben, was Fitzgerald einmal den ›Preis des Erfolges‹ nannte.«
»Und das wäre?«
Dein pochendes Herz, über ein Blatt Papier geschmiert.
»Erste Romane und Frühwerke leben anstelle von Technik mit ganz wenigen Ausnahmen von wildem Getöse. Und das ist auch gut so. Meine Studenten haben womöglich eine gewisse Vorstellung davon, was Erzähltechnik angeht. Dinge, die sie sich von anderen Schriftstellern abgeschaut haben. Aber Kunst, die aus Kunst schöpft, führt bloß zu Manierismen. Ich glaube, meine Studenten haben noch nicht wirklich etwas zu sagen. Was nicht weiter verwunderlich ist. Abgesehen von Capote oder Mailer, vielleicht noch Bret Easton Ellis oder Martin Amis, haben nicht viele Menschen vor ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahr einen Roman geschrieben, der es wirklich wert wäre, gelesen zu werden. Trotzdem, vor allem einige der älteren Studenten, diejenigen, die sich seit Jahren daran abarbeiten … Gott, man möchte ihnen am Liebsten zurufen, dass sie das Schreiben lieber bleiben lassen sollen.« Kennedy bemerkte das verhaltene Grinsen auf Drummonds Gesicht, als er sein Glas leerte und sich nachschenkte.
»Aber es gibt doch sicher einen Punkt«, meldete sich der Dozent zu Wort, dessen Name Kennedy entfallen war, »an dem man die Studenten ermutigen sollte, ihnen das nötige Selbstvertrauen zu geben, um das Beste aus sich herauszuholen?«
Kennedy zuckte mit den Achseln. »Ich denke nicht, dass ›entmutigen‹ oder ›ermutigen‹ irgendetwas damit zu tun hat. Es ist grausam, die Untalentierten zu ermutigen. Gemein. Gleichzeitig kann man einen wahren Schriftsteller gar nicht entmutigen. Das ist schlicht unmöglich.«
»Mr. Marr«, fragte die Amerikanerin, »was halten Sie von schriftstellerischer Intention? Dr. Drummond hier hat gesagt – was war es doch gleich?«
Drummond schüttelte den Kopf, ohne sie dabei anzusehen. »Ich sagte, dass die Kritische Theorie die Vorstellung von einer schriftstellerischen Intention schon lange überwunden hat. Immerhin könnte man, und zwar ungeachtet der rührenden Hingabe Kennedys an seine angebeteten Dead White Males – seine Mailers, Fitzgeralds, Hemingways und so weiter –, von einem gewissen Betrachtungspunkt ausgehend tatsächlich argumentieren, dass ein Text letztendlich bloß eine Konfluenz sozioökonomischer Kräfte ist.«
»Aber für Sie, Mr. Marr, spielt die Intentionalität doch sicher eine Rolle?«, fragte die Amerikanerin. »Sie haben doch sicher gewisse Ideen, die Sie mit Ihren Büchern vermitteln wollen? Gedanken, die Sie Ihren Lesern nahebringen wollen?«
»Ach, eigentlich geht es doch nur darum, die Leser zu unterhalten«, erwiderte Kennedy.
»Ich muss schon sagen«, spöttelte Drummond, »Ihre tiefe Verehrung für die literarische Erzähltechnik des neunzehnten Jahrhunderts ist wirklich anrührend. Sie würden wohl niemals in Betracht ziehen, dass Ihr geheiligter Literaturkanon schlicht der Ausdruck einer rassistischen, sexistischen, imperialistischen Hegemonie ist, nicht wahr? Dass Stimmen, die das hinterfragen, vorsätzlich ausgeblendet werden?«
»Welche Stimmen?«, fragte Kennedy. Offenbar hatte er sein Glas schon wieder geleert. Der Dekan goss ihm nach, was er mit einem leichten Heben der Augenbrauen kommentierte. Als wollte er sagen: »Er nun wieder.«
»Kathy Acker beispielsweise. Oder Althusser.«
»Nun, das sind doch Randfiguren. Dass man in fünfzig, ja sogar in zwanzig Jahren noch groß über sie reden, geschweige denn sie lesen wird, ist mit Fug und Recht zu bezweifeln.«
»Genau darauf will ich hinaus. Wer entscheidet das? Wer entscheidet, was gelehrt wird und was überdauert?«
»Die Zeit.«
»Die Zeit?«
»Ja, die Zeit neigt dazu, die Hasardeure auszumerzen. Und was die ›Erzähltechnik des neunzehnten Jahrhunderts‹ anbetrifft: Sie überdauert, weil wir sie lieben . Natürlich tauchen hin und
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