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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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steuerte Kennedy seinen Aston Martin trotzdem mit versoffener Gleichgültigkeit geradewegs den Strip entlang nach Osten, vorbei an den weißen Türmen des Chateau, die er links liegen ließ. An der Kreuzung Sunset Strip und Laurel Avenue hielt er an einer Ampel, nahm ein erquickendes Schlückchen aus dem Whiskyfläschchen, das er in der Türablage gefunden hatte, und musterte die anderen Verkehrsteilnehmer. Neben ihm saß ein Pärchen in einem offenen Bentley-Cabrio, vor ihm ein Mann in einem BMW, und in dem Mazda hinter ihm eine junge Frau, die sich im Rückspiegel Lipgloss auftrug. Etwas weiter vorn schmorte eine Busladung Mexikaner in der Hitze. Von der Seite des Busses lächelte ihn Julie Teals perfektes Gesicht an – jeder einzelne Zahn hatte die Größe eines Buchs. Das riesige Porträt warb für irgendeine Komödie, mit der sie vor ein paar Monaten immense Erfolge an den Kinokassen gefeiert hatte. Bentley, BMW, Mazda, Bus und schließlich, als finaler Tiefpunkt dieses Abwärtstrends, ein den Sunset Strip entlangtorkelnder Fußgänger. Genau genommen ein Outdoorsman , wie man hier sagte.
    Kennedy liebte diesen Ausdruck, der so viel wie »Naturbursche« bedeutete. Nur in einer Stadt wie Los Angeles konnte ein Penner mit einem solch würdevollen Beinamen bedacht werden. Als hätten diese Menschen ein Dasein, zu dem es gehörte, bei siebenundzwanzig Grad Außentemperatur in urindurchtränkten Hosen auf Bürgersteigen zu nächtigen, all den anderen Möglichkeiten vorgezogen, die das Leben für sie bereithielt. »Oh ja, ich war in Harvard für Jura eingeschrieben, aber irgendwie schien mir das Leben eines Naturburschen die bessere Wahl zu sein.«
    Dieser spezielle Naturbursche hier war noch dazu ein besonders schönes Exemplar. Schwarz, ungefähr in Kennedys Alter, trug er etwas, das aus der Ferne nach einem durchaus seriösen Anzug mit Fliege aussah. Bei näherer Betrachtung erwies sich der Anzug zerlumpt, bis auf die blanken Knie aufgetragen. Sein Hemd war ein fantastisches Mosaik unterschiedlichster Flecken. Und dieser Kerl war ein Schwätzer. Ins Leere brabbelnd und klagend, verfluchte er lautstark das Schicksal, seine Geschäftspartner, seine Exfrau oder was immer ihn hierhergebracht und zu dem gemacht hatte, was er jetzt war. Kennedy hatte unter den hiesigen Pennern schon viele Schwätzer beobachtet. In London beschränkten sich diese Typen auf ihre Pappkartonschilder und starrten einen mit leerem Blick an. Hier marschierten sie von morgens bis abends, von Silver Lake bis Santa Monica, den Sunset Strip entlang und grölten ihre Lebensgeschichten heraus. Getrieben von einem unglaublichen Mitteilungsbedürfnis, dem Drang, etwas zu erzählen. Gut möglich, dass sie allesamt beschissene Drehbuchautoren waren. Apropos, auf der anderen Straßenseite, bei Peet’s Coffee & Tea, sah Kennedy ein Rudel zukünftiger Naturburschen auf ihre MacBooks einhacken, Buddy-Movies, Thriller, Horrorfilme und romantische Komödien raushauend, die alle eines gemein hatten: Sie würden niemals verfilmt werden. Als der Naturbursche mit der Fliege den Aston Martin passierte, hielt Kennedy einen zusammengerollten Zwanziger aus dem Fenster. Der Typ sah das Geld und steuerte auf ihn zu. Er nahm den Schein, ohne Kennedy dabei in die Augen zu sehen, ohne ihn überhaupt wahrzunehmen, ohne seinen Monolog auch nur für eine Sekunde zu unterbrechen. Beeindruckend, dachte Kennedy. Er gab den Pennern immer Geld, manchmal verdammt große Scheine. »Weißt du, warum du das machst?«, hatte ihn eine seiner Exfrauen mal gefragt. Millie oder Vicky? Er wusste es nicht mehr. Höchstwahrscheinlich Vicky, denn die meiste Zeit, die er mit Millie zusammen gewesen war, hatte er gar nicht so viel Geld besessen. »Warum ich das mache?«, hatte Kennedy die Frage pflichtbewusst wiederholt. »Als eine Art Absicherung. Als Altersvorsorge«, hatte sie erwidert. »Es ist eine Investition in menschliche Güte. Weil du befürchtest, dass du eines Tages selbst so enden wirst.« Wenn er jetzt so darüber nachdachte, klang es eigentlich doch mehr nach Millie.
    Hatte er wirklich Angst, als Penner zu enden? War diese Angst nach den Ereignissen von heute Morgen vielleicht sogar noch größer geworden? (»Das sind keine Hirngespinste.«) Braden hatte insofern recht, als Kennedy sich tatsächlich nie davor drücken würde, eine Lokalrunde zu schmeißen. Er sagte nie: »Lass uns Economy fliegen.« Statt Fragen wie »Wer hat keinen Reis gegessen?« zu stellen, zahlte er lieber

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