Straight White Male: Roman (German Edition)
aus dem Kopf bekam. Was sollte man bei solchen Dingen machen? »Bei solchen Dingen kannst du gar nichts machen«, hatte Kingsley Amis zu seinem Sohn Martin gesagt. »Man kann nur hoffen, irgendwie damit leben zu können. Diese Dinge gehen niemals weg. Sie bleiben immer bei dir.«
Wenn diese Männer also erwachten, dann lasteten keine heißen, winzigen Ärmchen oder Beinchen auf ihrer Brust. Bloß der Druck. Der Druck, den das Wissen mit sich brachte, dass das Ende unerbittlich näher rückte, dass der Schmerzkatalog sich zusehends füllte und die Sollstellen viele, viele Nullen zählen würden. Sie hatten sich an der Liebe versündigt, diese alten Drecksäcke mit ihren jungen Freundinnen. Wie, dachten sie wohl, würde die Liebe darauf reagieren? Es dulden? Sich einfach zurücklehnen, Kaugummi kauen und sagen: »Alles paletti, Kumpel. Weiter so!«? Den Teufel tat sie. O nein, stattdessen kam die Liebe in der Nacht und entmannte sie. Sie schickte ihnen Träume von vergangenen Weihnachtsfesten, während denen sie mit beiden Fäusten auf ihre teure Damastbettwäsche einschlugen. Sie ließ sie mit Tränen in den Augen erwachen. Dann quälten sie sich aus ihren feuchten Betten und stolperten tumb nach unten, wo das einzige Geräusch, das sie begrüßte, das vertraute Tropfen der Kaffeemaschine war. An manchen Tagen vielleicht auch noch das Summen des Staubsaugers und das kühle »Hola« des Hausmädchens. Todesmutig trotzten sie der Sprinkleranlage und holten die Post und die Zeitung rein, während in ihren riesigen Häusern ihre Klamotten in traurigen Häufchen herumlagen – exakt so, wie man sie in der Nacht zuvor dort zurückgelassen hatte. Das einsame Band einer einzelnen schwarzen Socke krümmte sich auf dem Schlafzimmerboden. Ein Glas schales Wasser.
Kennedy betrachtete das Paar im Bentley und dachte:
Komm, Herzensbrecher
Zehr am Rand des Abgrunds
Stopf achtlos dir den Schlund. Wenn in der Tiefe
Blinde Vögel quälend langsam kreisen.
Schon recht zufrieden mit dem Gebrauch des Wortes »Schlund« und dessen subtiler Doppeldeutigkeit, bemerkte Kennedy, dass die junge Frau im Mazda eine Brille trug. Er freute sich über den überraschenden Widerhall, den ein Leser in der letzten Zeile des Verses finden würde.
elf
Dr. Dennis Drummond (Doktorarbeit: Vektoren der Macht: Die Dichter der Romantik als politisches Konstrukt , Universität von Manchester, 1989), Leiter des Englisch-Seminars an der Universität von Deeping und außerordentlicher Professor für Marxistische Kritische Theorie, griff nach dem klingelnden Telefon auf dem Nachttisch. Dabei entglitt ihm die Hausarbeit, die er gerade rigoros zusammenstrich – dieser Junge steckte noch knietief im Morast hundert Jahre alter Vorstellungen zum Wert narrativer Strukturen –, und fiel zu Boden. Drummond war siebenundvierzig. Das wenige ihm verbliebene Haupthaar war fein und spröde, dünn wie eine durchschnittliche Diplomarbeit. Neben ihm schlief seine Frau den unruhigen Schlaf eines chronisch untervögelten Menschen.
»Hallo?«
»Dennis, hallo. Amanda hier.«
»Amanda. Danke, dass du anrufst.«
»Du hast gesagt: ›Egal wie spät.‹«
»Natürlich. Schon in Ordnung.« Sie kannten sich seit der Jahrtausendwende, als beide an der Universität von Loughborough an einem Kongress teilgenommen hatten: »Intratextueller Faschismus: Defoe, Dickens, Lawrence und die Pflege kultureller Hegemonie 1720–1930«. Am Ende hatten sie all diese Autoren zu moralisch bankrotten, imperialistischen Vergewaltigern erklärt und sich hochzufrieden mit einem spartanischen, veganen Lunch belohnt. Amanda Costello war die Art von Schriftstellerin, die jedes ihrer Werke mit Zeilen wie den folgenden begann: »In meiner Eigenschaft als heterosexuelle Cisgender, deren Mittelklasse-Leben empfänglich dafür ist, von Faktoren beeinflusst zu werden, völlig frei von den schwierigen Erfahrungen solcher Minderheiten, die …« Drummond bereitete ihre Prosa aufrichtiges Vergnügen. Auch wenn er das Wort »Vergnügen« eher unpassend fand. Vielmehr war er der Meinung, dass Costello alle politischen Ärgernisse ohne Umschweife an der Wurzel packte, statt den Leser mit etwas derart Wertlosem und Profanem wie einem interessanten oder packenden Satz zu bevormunden. Sie war hart und klar. Ihre Parteinahme fußte einzig und allein auf Fakten. »Bitte, erzähl doch.«
Sie berichtete ihm. Drummond wurde leichenblass. Ihn überkam ein leichter Schwindel.
Ein paar Minuten lang bestätigten sie sich
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