Straight White Male: Roman (German Edition)
– ihm von ihrem Tag erzählen wollten. Meistens abends gegen sechs, wenn Kennedy gerade in der Küche sein geheiligtes Ritual mit dem Gin, dem Wermut, der Olive und dem eisgekühlten Stielglas vorbereitete. Wenige Sätze nach Beginn des Monologs darüber, wer was zu wem gesagt hatte, hörte Kennedy bereits dieses weiße Rauschen, und sanfte Wellen brandeten gegen die Gestade seines Hirns. Warum erzählst du mir das? Kennedy versuchte sich auszumalen, er würde dieses absurde Bedürfnis verspüren, jemandem mitzuteilen, wie sein Tag so war. Trotzdem gab es gewisse Konventionen. Also sagte er »M-hmmm«, »Ja« oder »Ich verstehe«.
»Abben Sie verrssanden?«, fragte Raoul gerade am Rande des Pools im sanften Licht der Abendsonne. Kennedy wurde klar, dass von ihm irgendeine Reaktion erwartet wurde. Urplötzlich herrschte auch noch totale Stille. Hector hatte den Laubbläser ausgeschaltet und packte sein Zeug zusammen.
»Sicher«, beeilte er sich zu sagen, »alles klar. Gut. Na dann erst mal danke, Raoul. Bis nächste Woche, oder?«
Raoul nickte erfreut, nahm seinen Werkzeugkasten und verschwand mit Hector Richtung Tor. Im Garten war jetzt endlich Ruhe eingekehrt – abgesehen vom Blubbern des Wassers im Whirlpool und einem Verkehrshubschrauber über dem Highway 101. Endlich war Kennedy allein.
Er betrat das Haus. Die Vordertür öffnete sich direkt in den beeindruckenden Wohnbereich. Ein paar Stufen hinunter, und er stünde inmitten der in den Boden eingelassenen Sitzgrube – zwei lange, tiefe Sofas, die um einen Couchtisch mit Glasplatte gruppiert waren. In den Regalen reihte sich Buch an Buch, an der Wand über dem offenen Kamin hing ein Fünfzig-Zoll-Plasmabildschirm. Kennedy ging um die Sitzgrube und eine frei stehende Wand herum in sein Arbeitszimmer. Sein iMac thronte in der Mitte des Raumes auf dem Schreibtisch, riesengroß und alles dominierend. Eine externe Festplatte, Recherche-Lektüre, stapelweise Drehbücher und die Romane, auf denen sie basierten, lagen in ungeordneten Haufen um den Bildschirm herum. Eine Pinnwand links neben dem Arbeitsplatz war mit Post-its und Karteikarten übersät: Szenenstrukturen, Outlines, Notizen. Am Rahmen der Pinnwand hing links unten eine durchsichtige Plastiktüte mit Kleingeld. Ein kleinerer Schreibtisch am anderen Ende des Raums beherbergte das reinste Chaos, einen riesigen Berg geöffneter und ungeöffneter Post: Angebotsanfragen, Bitten um Zitatfreigaben, Einladungen zu Partys, Lesungen, Seminaren, Symposien, Exerzitien und Kongressen sowie Tantiemenabrechnungen seiner Agenten. An der Wand über dem Tisch hingen in einem riesigen Rahmen hinter Glas fünfzehn DIN-A4-Blätter in drei Reihen zu jeweils fünf Stück: sämtliche Ablehnungsschreiben für Undenkbar , alle um den Winter des Jahres 1995 herum datiert. HarperCollins, Jonathan Cape , Faber, Penguin, John Murray, Canongate, Picador, Fourth Estate und so weiter und so fort. Kennedys einzige andere Motivationshilfe war ein einzelner Satz, in Courier Bold – der Typo, in der er alle seine Texte tippte – auf einem Papierstreifen ausgedruckt und am Fuß seines iMac über das Apple-Logo geklebt. Es war ein Zitat von James Joyce. Vor einer Ewigkeit – in seiner Studienzeit in Glasgow, in seinem Höllenloch von einer Studentenbude, und später in London, an seinem Arbeitsplatz in dem winzigen Schlafzimmer ihrer ersten Wohnung in Maida Vale – hatte es erst an seiner Olivetti-Reiseschreibmaschine und dann am grauen Plastikgehäuse seines Amstrad-Computers geklebt. Darauf stand:
»Schreib es, verdammt noch mal, schreib es!
Wozu sonst bist du gut?«
Er kannte Autoren, die andere Zitate bevorzugten. Einige standen auf Iris Murdochs »Ein jedes Buch ist das Wrack einer perfekten Idee«. Die bleichen Knochen des veröffentlichten Romans – das Skelett eines kolossalen Monsters, dessen wahre Identität nur einem einzigen Menschen bekannt war. Und trotzdem hatte auch dieser Mensch während der Jagd nur ab und an einen flüchtigen Blick auf das Untier erhascht, bevor es wieder im dschungelartigen Blätterwerk verschwand. Murdochs Zitat war sicherlich gut und richtig, aber in Kennedys Augen fehlte ihm die motivierende Kraft der barschen Zurechtweisung seines Landsmannes.
Er ging durch bis ins Schlafzimmer, wo die Putzfrauen Gott sei Dank alle Zeugnisse der dort geschehenen Gräuel getilgt hatten. Frauen: Wenn sie allein lebten, dann gab es volle Kühlschränke. Sauberkeit. Bezahlte Rechnungen. Frische Kleidung,
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