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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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ordentlich gefaltet und in Schubladen verstaut. Männer dagegen? Wenn sie es nicht gerade wie Kennedy machten und die Situation mit Geld und Personal in Schach hielten, dann herrschte bei ihnen das Chaos. Schmutz und Elend. Eine Flut an T-Shirts und Pyjamahosen, die sich am Fußende des Bettes staute und dort allmählich von Wäsche über Wichslappen zu wissenschaftlichen Experimenten degenerierte. Letzte Mahnungen und ein radioaktiver Karton mit Pizza, die sich den Platz im Regal mit einem Glas Senf teilten. Wenn er doch nur, und dieser Gedanke kam ihm nicht zum ersten Mal, Putzkräfte für sein Gehirn anstellen könnte. Das war es, was sein Hirn brauchte: Personal.
    Kennedy knöpfte sein Hemd auf. Warum trage ich überhaupt weiße Hemden? Warum nicht gleich eine Klettweste, die Essensreste magisch anzieht? Er ging zurück ins Büro, strich mit der Hand über die Tastatur, atmete einmal tief durch und klickte das rote und weiße Kalendersymbol auf dem Balken unten am Bildschirm an. Sein Wochenüberblick: ein tradiertes, von ihm zu Recht gefürchtetes Montagsritual.
    Für Kennedy waren Kalender und Telefone die reinsten Folterinstrumente. War man noch ein schriftstellernder Hungerleider, so wie es alle Schriftsteller einmal gewesen sind – vor ihm, hinter der glänzenden Glasscheibe, legte die Zeile »… obwohl Undenkbar eine Menge Potenzial zeigt, glauben wir, dass im aktuellen Buchmarkt …« Zeugnis davon ab –, dann starrte man den lieben langen Tag voller Hoffnung auf seinen … nun ja, Kennedy hatte damals noch keinen Kalender geführt. Und wäre dem so gewesen, dann hätte dieser aus einem leeren weißen Blatt bestanden, auf das vielleicht die Worte »Wäsche!« oder »Mum anrufen« gekritzelt waren. Aber er hatte auf sein Telefon gestarrt, als ob er es mit bloßer Willenskraft zum Klingeln bringen und einen Auftrag, einen Job, irgendetwas herbeibeschwören könnte. Kennedy hatte in der winzigen Küche in Maida Vale mal einen Freudentanz aufgeführt, weil ihn der Chefredakteur von Time Out um eine hundert Wörter lange Besprechung des Films Stirb langsam 3 gebeten hatte. Er wusste noch genau, wie er zwei Monate nach dem Anruf mit gierigen Fingern den Umschlag mit dem Honorarscheck für den Text aufgerissen hatte. Achtzehn britische Pfund. So sehr ihn seine Erinnerung auch überzeugen wollte, mit dem Geld etwas Nettes für Millie getan zu haben, war es in Wirklichkeit doch bloß im reißenden Strom seines Dispos verschwunden, wie ein über die Klippen der Niagarafälle geworfener Kiesel. Wenn heutzutage das Telefon klingelte, wie gerade mal wieder sein iPhone im Schlafzimmer, dann schossen ihm sofort die Worte »Was zum Teufel?« durch den Kopf.
    Im gleichen Atemzug, so überlegte er, nahmen andere Personen und Organisationen mit dem wachsenden eigenen Erfolg eine neue Gestalt an. So verwandelte sich beispielsweise der Bankberater von einem Angst und Terror verbreitenden Wesen in … ein Nichts. Eine Nullität. Dessen vorherige Rolle allerdings schnell von der Steuerbehörde übernommen wurde. Das Leben sorgte dafür, dass man nie ohne Nemesis blieb.
    Kennedy starrte auf die digitalisierte Kalenderseite, deren obszön große Schrift ihm nun auf dem Bildschirm seines iMac entgegenflimmerte. Sein Kalender wurde zurzeit von Stephanie geführt, einer von Bradens Angestellten. Sie war eine süße Filmstudentin, der Kennedy, wenn er sie sah, gern »Stephanie says« von Velvet Underground vorsang, was ihr ausnehmend zu gefallen schien. Allerdings hatte er sie auch mehr als einmal zum Weinen gebracht. Hauptsächlich, weil Stephanie zu seiner Beunruhigung darauf bestand, an der ziemlich edwardianischen Einstellung festzuhalten, dass man seine Versprechen auch einlösen sollte.
    Ominös, dieser Bildschirm. Die vielen blauen Textstellen standen für geschäftliche Termine, eine ähnlich bedenkliche Menge orangefarbener Einträge wiederum für gesellschaftliche Verpflichtungen. Die Farben hatte Stephanies Vorgängerin Nancy – Kennedy hatte ihr einfach nicht widerstehen können – nach eigenem Gutdünken ausgewählt. Seine Augen flitzten über den Monitor, pickten willkürlich schreckliche, wirklich entsetzliche Wörter heraus: Screening. Informell. Drinks. Pitch. Abendessen. Interview. Warner Bros. Charlies Geburtstagsfeier (Wer zur Hölle war Charlie?). Mittagessen. Fox. Frühstück (»Frühstück«? Ja, klar. Kennedy konnte sich ein freudloses Lachen nicht verkneifen. Er musste ja wohl völlig zugedröhnt gewesen

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