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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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die Uferpromenade. Unweit davon duckte sich der verrostete Rumpf des alten West Pier ins Wasser wie das erodierte Skelett eines prähistorischen Monsters. Gerry wollte immer am Meer leben.
    Der Polizist am Empfang hatte sich hinter Teilnahmslosigkeit, Formularen und seiner Beamtenrolle verschanzt. Keine Beileidsbekundung, kein Wort des Trostes. Bloß Papierkram, der erledigt werden wollte. Dann verschwand er einfach. Kennedy saß eine gefühlte Ewigkeit auf einer harten Bank und betrachtete die Poster – Taschendiebstahl, Einbruch, Autodiebstahl –, bis der Mann zurückkam und ihm einen großen, durchsichtigen Plastiksack aushändigte, auf dem in blauen Lettern die Worte »Sussex Police« prangten. Mit dem Sack über der Schulter war Kennedy zu seinem Auto zurückgekehrt, während seine Hände in der Kälte allmählich taub wurden.
    Wie unbeschreiblich traurig sie klangen, die Möwenschreie, die der Wind herübertrug.
    Zurück in London, in der Wohnung in Maida Vale, die er in der Nähe von Millie und Robin gemietet hatte, hatte er den Inhalt des Plastiksacks auf dem Boden des Arbeitszimmers ausgebreitet, zwischen den gepackten Umzugskisten, die darauf warteten, eingelagert zu werden. Gerrys Parka mit der fellbesetzten Kapuze. Ihre Armani-Jeans und ihre winzigen Turnschuhe. Ihr BH und ihre Unterwäsche. Da war ihr Pulli, mit einem verkrusteten, weiß schimmernden Speichelfleck auf der Brust – schrecklich. Ihre Tabakdose, mit ein paar losen Tabakresten, Blättchen und einem billigen Plastikfeuerzeug darin. Dann hatte er ganz am Boden des Sacks schließlich das traurigste aller Objekte gefunden: einen kleinen, durchsichtigen Kunststoffbeutel. Er war an den Seiten mit den Worten »Polizeiliche Beweismittel« bedruckt. Auf der Vorderseite stand: » KEINE NASSEN TEXTILIEN. KEINE UNGESCHÜTZTEN SCHARFEN OBJEKTE. ETIKETTAUFKLEBER BITTE VOLLSTÄNDIG BESCHRIFTEN. « In dem Beutel befanden sich drei Einpfundmünzen, eine Zwanzigcentmünze, vier Fünfpencemünzen, eine Zweipencemünze und zwei Pennys. Ihr einziges Bankkonto war überzogen und gesperrt. Mit der Miete war sie im Rückstand, die Wohnung stand kurz vor der Zwangsräumung. Beim Ausräumen hatten sie dort weder Bargeld noch irgendwelche Sparbücher gefunden. Diese drei Pfund und vierundvierzig Pence waren alles, was sie besessen hatte.
    Gerrys gesamtes Vermögen zum Zeitpunkt ihres Todes.
    Das, was ihr zweiunddreißig Jahre auf diesem Planeten eingebracht hatten.
    Er hatte die Geldstücke lange durch seine Finger wandern lassen, spielte mit ihnen herum, schob sie auf seinem Schreibtisch hin und her. Die Jahreszahlen auf den einzelnen Münzen weckten Erinnerungen an die so unterschiedlichen Stationen ihrer beider Leben. 1987: Kennedys erstes Jahr an der Uni. Die sechzehnjährige Gerry hatte die Schule ohne Abschluss verlassen. 1997: Kennedy veröffentlichte seinen ersten Roman und kam damit auf die Shortlist für den Booker Prize. Gerry machte ihren ersten Entzug. 2001: Kennedys Scheidung von Millie. Gerrys erster Gefängnisaufenthalt.
    Kennedy hatte den Beweismittelbeutel an seine Pinnwand geheftet. Seitdem hatte er ihn jeden Tag vor Augen.
    Oh Gerry. Was hast du jetzt schon wieder angestellt?
    Gar nichts diesmal. Und sie würde auch nie wieder etwas anstellen.
    Er starrte aufs Meer hinaus. Dahin, wo sich vor der Küste Kaliforniens die Delfine tummelten, ein paar Hundert Meter vom Ufer entfernt. Wo die kristallklare Gischt spritzte, wenn sie sprangen und tauchten, als ihm die Zeilen zuflogen.
    In tiefsten Tiefen jenseits aller Häfen
    Ringst du nach Atem
    Pochen eisig kalte Schläfen
    Ans Tempeltor, dein Blick
    Gefriert im Spiegelglanz von bodenlosen Augen
    Sein Handy klingelte. Braden. Die Kacke war also am Dampfen. Er schob den Balken über den Touchscreen seines iPhones. Und schon ging’s los.
    »Bist du jetzt völlig durchgedreht?«
    »Hallo, Braden. Ich find’s auch schön, von dir zu hören.«
    »Du sagst Scott Spengler, Scott Spengler , er könne dich mal am Arsch lecken?«
    »Das trifft nicht wirklich das, was ich gesagt habe.«
    »Erspar mir die semantischen Feinheiten. Du weißt schon, dass du ihm laut Vertrag noch eine Überarbeitung schuldig bist, oder?«
    »Was er da vorschlägt, ist idiotisch, nicht durchführbar, und es versaut das Drehbuch.« Kennedy drehte sich aus dem Wind und zündete sich eine Zigarette an.
    »Drauf geschissen. Liefere ihm, was er will, streich das Geld ein und reite in den Sonnenuntergang.«
    »Ich bin raus. Die

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