Straight White Male: Roman (German Edition)
Gebäude, so weit das Auge sah. Nur ein sanft abfallender Rasen mit einer gewaltigen alten Eiche in der Mitte, der rechts von Feldern, links von Wald gesäumt wurde und am Ende des Grundstücks mit einer Reihe Pappeln abschloss.
Auf dem Weg zur Freitreppe und ins Obergeschoss füllte sich Kennedy in der Küche das Glas wieder auf. Oben befanden sich diverse Schlafzimmer und Bäder zu beiden Seiten eines breiten Flurs, in dem sich ein Gemälde ans nächste reihte, größtenteils Ölbilder, Porträts von finster dreinblickenden Herren – fraglos miese, alte Drecksäcke, deren Grausamkeit und Geschäftssinn dafür verantwortlich waren, dass dieses Anwesen dem einen oder anderen von ihnen als Stammsitz gedient hatte. Die letzte Tür schließlich führte in einen Raum, dessen Maße mit dem darunterliegenden, riesigen Wohnraum fast identisch waren. Auf zwei Seiten gab es Fenster – die drei gegenüber dem Bett reichten sogar vom Boden bis zur Decke. Blassgelbe Arts-and-Crafts-Tapeten schmückten die Wände, die jüngsten der Möbelstücke schienen aus den Dreißigerjahren zu stammen. Die einzigen Anzeichen von Modernität waren der dicke, weiche Teppichboden in dezentem Hellbeige und der große schwarze Flachbildfernseher am Fußende des Bettes. Kennedy öffnete eine Tür und fand sich in einem sonnendurchfluteten Badezimmer wieder – der Größe nach zu schließen wohl ein umfunktioniertes Schlafzimmer. Die alte, viktorianische Wanne war direkt vor dem Panoramafenster positioniert, sodass man beim Baden stillvergnügt den Ausblick auf sein Königreich genießen konnte. Er setzte sich auf den Wannenrand, schaute aus dem Fenster, schlürfte seinen Drink und dachte darüber nach, wie angenehm dies alles doch sein konnte, wenn da nicht der Umstand wäre, dass er sich fast jeden Tag von hier weg und zur Uni begeben musste – »nur zehn Minuten die Straße runter«, wie Keith ihm gesagt hatte –, um zuzuhören, wie sich eine Bande Teenager an Literatur versuchte. Just als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, hörte er das gedämpfte Poltern des Türklopfers an der Haustür. Er seufzte und leerte sein Glas. Was für eine Teufelei war das denn jetzt schon wieder?
»Guten Tag«, sagte die lächelnde Dame mittleren Alters, die auf der Türschwelle stand. »Ich bin Angela Marcus. Ich … geht es Ihnen gut?«
»Wie bitte?«
»Ihr Gesicht, es …«
Kennedy drehte sich zu dem großen Spiegel über dem Kamin im Flur um. Der Tomatensaft. Er sah aus, als hätte er es einem menstruierenden Seelöwen mit der Zunge besorgt. »Mist. Tut mir leid, das ist bloß Tomatensaft. Kommen Sie, kommen Sie doch bitte rein. Ich bin sofort bei Ihnen.« Er verschwand in der Gästetoilette, wusch sich das Gesicht und trocknete sich mit einem Handtuch ab, als er wieder herauskam. »Entschuldigen Sie, was sagten Sie doch gleich?«
»Ähm, Angela Marcus?« Sie reichte ihm die Hand. Nach dem fragenden Ton in ihrer Stimme zu urteilen, hatte sie damit gerechnet, dass Kennedy wusste, wer sie war. Doch ihr Gegenüber runzelte nur die Stirn und machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Wir haben vor einiger Zeit miteinander gemailt?«
»Äh …«
»Ich bin Ihre Sekretärin, Mr. Marr.«
»Oh! Großartig. Ja, richtig. Tut mir aufrichtig leid, ich bin noch ein wenig durcheinander. Sie wissen schon, der … Jetlag.«
Sie gingen in das große Wohnzimmer.
»Schön hier, nicht wahr?«, fragte Angela.
»Allerdings. Wirklich etwas Besonderes. Drink gefällig?«
Angela blickte auf ihre Uhr. »Nun, vielleicht einen kleinen Sherry. Ja, das wäre nett. Vielen Dank.«
Das machte ihm die Frau auf Anhieb sympathisch. Sie war Ende vierzig, ein wenig älter als er, hatte glattes, sandfarbenes Haar und einen Bubikopf. Ihr großer Mund war voller strahlend weißer Zähne. Sie trug einen grauen Anzug und einen schwarzen Rollkragenpullover, unter dem sich ein beachtlicher Vorbau abzeichnete.
»Sherry, alles klar. Entschuldigen Sie, aber ich weiß noch nicht so richtig, wo hier was zu finden ist. Aber ich habe Champagner im Kühl…«
»Die Bar befindet sich in der Mitte dieses Bücherregals.« Angela zeigte mit dem Finger darauf. »Sie sollte zu Ihrer Zufriedenheit bestückt sein.«
Die Skyline aus Flaschen, Karaffen, Gläsern und einem Cocktailmixer, die er in dem verspiegelten Kabinett vorfand, entlockte Kennedy ein anerkennendes Pfeifen. »Alle Achtung. Habe ich das Ihnen zu verdanken?«, fragte Kennedy über die Schulter hinweg, während er den Sherry
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