Straight White Male: Roman (German Edition)
Gegensatz dazu waren einige der anderen Texte, auf die er einen kurzen Blick geworfen hatte … nun, ihm fehlten die Worte, um diesen Mist zu beschreiben.
Einer davon war ein Roman, der in einer dystopischen Zukunft spielte und anscheinend von einer geflüchteten Laborratte erzählt wurde. So weit, so gut. Es gab sicher Romane, die auf noch weitaus abstruseren Voraussetzungen aufbauten. Aber diese Ratte redete beziehungsweise führte ihre inneren Monologe in einer Art Pseudo-Shakespeare-Sprache, die sie – was nicht weiter ausgeführt wurde – offenbar deshalb beherrschte, weil man sie gezwungen hatte, sich Videokassetten über die historischen Leistungen der Menschheit anzusehen. Videokassetten? Im Jahr 3000 nach Christus?
Zwei weitere Drehbücher beinhalteten bereits auf den ersten zehn Seiten Szenen, in denen Männer vergewaltigt wurden – eine davon war noch dazu ziemlich eindeutig pädophiler Natur. Beim abermaligen Betrachten der Titelseite dieses Machwerks hoffte Kennedy doch sehr, dass dieser Brian Healy polizeilich registriert war. Ein weiteres Drehbuch begann mit einer ganzseitigen Beschreibung, bei der die Kamera erst auf einen »wolkenverhangenen Himmel« fokussierte, dann auf eine »windgepeitschte Landschaft«, dann auf einen »verwaisten Highway« und schließlich auf weiß Gott was noch alles. Christina Kemp hatte eindeutig noch nichts von dem Hitchcock-Zitat gehört, laut dem so etwas zwar im europäischen Kino praktikabel war, welches aber auch besagte, dass im kommerziellen amerikanischen Kino spätestens in der zweiten Einstellung ein Flugzeug zu sehen sein sollte, wenn man mit einem Zoom in die Wolken eröffnete. War das Flugzeug in der dritten Einstellung noch nicht explodiert, dann hatte man beim Testscreening in Pasadena verdammt schlechte Karten auf der Hand.
Die meisten scheiterten allerdings auf die wohl gängigste Art: an der Tonalität. Ihr Ziel war das aller fiktionalen Werke – nämlich eine neue Welt zu erschaffen. Was ihnen allerdings durchweg mehr schlecht als recht gelang. Nahm man einem Buch seinen Ton nicht ab, dann hatte der Autor bereits verloren. Beim Lesen der meisten Dialoge fragte Kennedy sich ernsthaft, ob deren Schöpfer sich in ihrem ganzen Leben jemals mit einem anderen menschlichen Wesen unterhalten hatten. Ihm kam William Wordsworths Definition von Poesie in den Sinn: »Spontane Gefühle, in Ruhe nachträglich erinnert und gestaltet.« Dieser Kram hier war zur Banalität gestaltete Eintönigkeit.
Ein helles Pling seines Computers machte Kennedy darauf aufmerksam, dass er eine neue E-Mail erhalten hatte. Lustlos kämpfte er sich hoch und schleppte sich zum Schreibtisch. Die Mail war von Braden. Ihr Betreff lautete: EILIG: WEITERGELEITETE NACHRICHT VON SCOTT SPENGLERS BÜRO. Er klickte sie an.
Hallo Professor,
ich hoffe, du hast dich halbwegs eingelebt. Wie du ja weißt, sind wir ab nächster Woche mit dem Produktionsteam in England. Aufgrund diverser Entwicklungen beim Außendreh sieht es ganz danach aus, als würden wir noch einen weiteren Rewrite benötigen – was dich ja nicht allzu sehr überraschen dürfte. Könntest du dir bitte den nächsten Freitag (18. Okt.) für eine Skript-Konferenz mit mir, Kevin und Julie freihalten? Du findest uns im 007-Studio. Passierscheine sind am Gate für dich hinterlegt. 14:00 Uhr.
Gruß,
Scott
Der 18. Oktober. Klingelte da nicht irgendetwas bei ihm? Scheiße.
Irland. Patrick und Mum. Er würde ihnen absagen müssen. Er konnte bereits die sanfte Enttäuschung in der Stimme seiner Mutter hören. Die unverhohlene Skepsis in der von Patrick. Oje.
Kennedy blickte auf die Uhr. Kurz nach sechs. Was taten diese Spinner hier wohl, um sich freitagabends ein wenig zu entspannen?
Das Sakko über die Schulter geworfen, schlenderte er den Flur entlang und spähte in ein leeres Büro nach dem anderen. In dem von Dennis Drummond brannte noch Licht, also schlich er sich auf Zehenspitzen daran vorbei. Schließlich hörte er am hinteren Ende des Ganges das Klappern einer Tastatur und erblickte durch die offene Tür Melissa Gently, Dozentin für romantische Dichtung. Sie waren einander auf diesem Willkommensempfang vorgestellt worden. »Hallo, Melissa.«
» O GOTT! « Sie sprang fast bis an die Decke. »Kennedy, verdammt. Sorry, aber du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Entschuldige, das war wirklich nicht meine Absicht. Was treibst du so?«
»Ach, ich schlag mich mit dieser verdammten Abhandlung rum.« Sie blickte ihn durch ihre
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