Straight White Male: Roman (German Edition)
künstlerischen Schaffensprozesses sein.«
Paig e ignoriert e de n Ker l einfac h un d blickt e weite r Kennedy an.
»Nur ein absoluter Volltrottel würde beim Schreiben eine andere Motivation dem Geld vorziehen«, sagte Kennedy.
Nachdem alle ihre kleinen Vorträge beendet hatten, gab er ihnen einen kurzen Ausblick darauf, was sie im Semester so durchnehmen würden. Dann war die Stunde vorbei. Beim Verlassen des Raums griff sich jeder der Studenten ein Exemplar der Leseliste, die Kennedy bereitgelegt hatte. Jener Leseliste, die er am Vorabend im Pub auf die Rückseite eines Briefumschlags gekritzelt hatte, um sie später Angela zu über reichen, die sie heute Morgen abgetippt hatte. Da Paige ganz hinten saß, war sie die Letzte, die den Raum verließ.
»He«, sagte Kennedy, »Ihre Offenheit hat mir gefallen. Das war sehr erfrischend.«
Sie zuckte mit den Schultern und zog ihren Mantel über. »Das Leben ist zu kurz. Bis nächste Woche.«
Vom Fenster aus sah er zu, wie die Gruppe die Treppe herunterkam und auf dem Hof auseinanderging. Die beiden Pickelgesichter liefen gemeinsam in Richtung Mensa. Die älteren Semester schienen noch etwas besprechen zu müssen, und Paige stöckelte auf ihren schwarz bestrumpften Beinen davon, um im anschwellenden Pulk der Studenten zu verschwinden, die nun aus den Seminarräumen strömten. Kennedy wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu und ging die Ordner durch, die er heute Morgen von Angela bekommen hatte – einen für jedes seiner Schäfchen. Auf halber Strecke wurde er fündig: » PATTERSON, P. «.
Sie war dreiundzwanzig Jahre jung und kam aus Hampshire. Staatliche Gesamtschule. Anständige, wenn auch unspektakuläre Noten. Die ersten zwei Jahre ihres Bachelor of Arts hatte sie im Alter von neunzehn bis einundzwanzig absolviert. Nach einer zweijährigen Pause nahm sie mit diesem Semester ihr Studium wieder auf. Bei dieser Gelegenheit hatte sie allerdings ihr Fach von Amerikanischer Literatur zu Kreativem Schreiben gewechselt. Dreiundzwanzig. Er war vierundvierzig. Wenn er fünfzig würde, wäre sie immer noch in ihren Zwanzigern. Wenn er sechzig wäre, wäre sie wie alt? Neununddreißig? Wenn …
»Lass den Quatsch«, sagte er laut zu sich selbst. Seine Stimme hörte sich seltsam geisterhaft an, so ganz allein in seinem Büro.
Er goss sich einen Whisky ein. Vor den beiden großen Bogenfenstern begann es zu dämmern. England im Oktober – bis zum Ende der Sommerzeit dauerte es nicht mehr lange. Dann kamen Frost und Nebel, kurze Tage und vereiste Windschutzscheiben. Wie spät war es jetzt in L. A.? Acht Uhr morgens. Über den Bergen hinter Silver Lake ging gerade die Sonne auf. Bereit, ihren Weg über die Stadt anzutreten, um am Ende des Tages im Ozean zu versinken. Ihre warmen Strahlen fielen durch das Ostfenster seines Schlafzimmers, malten goldene Streifen über sein Bett. Der Vanilleeiskremgeruch der Bougainvillea auf seinem Balkon …
»Jetzt stell dich nicht so an. Du bleibst jetzt ein Weilchen hier, und eh du dichs versiehst, ist auch schon alles vorbei.« Seine Angewohnheit, Selbstgespräche zu führen, hatte sich in den letzten Jahren eindeutig verschlimmert. Offensichtlich waren seine Schrullen auf dem besten Weg, zu ausgewachsenem Wahnsinn zu erblühen. Er griff sich Paige Pattersons Drehbuch und legte sich aufs Sofa.
Eine halbe Stunde später hatte er die ersten zehn Seiten von Knochensammler zum zweiten Mal gelesen und ließ sie zu Boden fallen, bevor er einigermaßen baff an seinem zweiten Whisky nippte.
Die Geschichte war eine romantische Screwballkomödie, ein Zweipersonenstück im Stil von Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten , aber im Wilden Westen des späten neunzehnten Jahrhunderts angesiedelt. Die Hauptfiguren waren eine Frau namens Jenna und ein Kerl namens Parker. Beide waren so etwas wie Abenteurerpaläontologen, die in der Weite des Mittleren Westens nach Dinosaurierknochen suchten – damals eine große Sache, wie eine etwas plumpe Exposition auf Seite drei ihm versicherte. Anfangs lief es eindeutig nicht sonderlich rund zwischen ihnen, dafür funkte es später umso mehr. Natürlich gab es ein paar der üblichen technischen Schnitzer – zu detaillierte Kameraperspektiven, solche Dinge –, doch das Lustige war … das Buch hatte definitiv ein gewisses Gespür für das richtige Setting. Und man kam bis Seite zehn, ohne dass man sich lieber eine Kugel in den Kopf gejagt hätte, statt herauszufinden, was als Nächstes passierte.
Im
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