Straight White Male: Roman (German Edition)
es so?«, fragte Kennedy.
»Das willst du gar nicht wissen«, erwiderte Spengler. »Ich versuche gerade herauszufinden, wie es möglich ist, dass wir dem Zeitplan schon am ersten Tag eine ganze Woche hinterherhinken. Julie ist in ihrem Trailer. Gleich da hinten. Geh rein und lass deinen irischen Charme spielen.«
Vor Julie Teals Trailer stand der nächste Sicherheitsmann. Dieses Monster – gegen das die anderen aussahen, als wären sie nach Jahren des Hungers aus einem Gulag geflohen – blickte grimmig drein und leuchtete mit seiner Taschenlampe eine gefühlte Ewigkeit auf Kennedys Pass, bevor sein Kopf in der Tür des Wohnwagens verschwand, um mit irgendjemandem da drin murmelnd zu diskutieren, bis Kennedy plötzlich wie von Zauberhand hineingeschoben wurde.
Das Wort »Wohnwagen« wurde dem Ding nicht einmal annähernd gerecht. Ebenso gut konnte man das Savoy Hotel ein Bed & Breakfast nennen. Durch irgendwelche schwarzmagischen Auszieh- und Verlängerungskünste war das Teil locker fünfzehn Meter lang und am hinteren Ende auf fast sechs Meter Breite angeschwollen. Dort räkelte sich Julie Teal auf dem Sofa und telefonierte inmitten ihrer Entourage. Ein muskelbepackter Lakai las die Variety , in der Ecke tippte ein Mädchen auf einem Laptop, eine Visagistin kramte in einem Flightcase voller Pinsel, Fläschchen und Tuben herum. Beim Betreten des Allerheiligsten umfing Kennedy leise Musik. Er wollte Hallo sagen, doch der Star hielt bloß einen Finger in die Höhe und telefonierte seelenruhig weiter, als wäre Kennedy vom Zimmerservice und würde auf Trinkgeld warten.
Wie alles andere ist auch das hier irgendwann vorbei, dachte Kennedy.
»Auf keinen Fall«, sagte Teal. »Ich kann um fünf dort sein. Sag ihm …«
Alle anderen ignorierten ihn, während sie weiterredete. Warum auch nicht? Er war bloß der Autor. Er könnte auch hier sein, um die Klimaanlage zu reparieren.
Schließlich, nach einem letzten »Ciao«, legte sie auf, erhob sich und reichte ihm die Hand. »Entschuldige. Hallo. Schön, dich wiederzusehen. Kann ich dir etwas anbieten? Einen Snack? Etwas zu trinken?«
Im Gegensatz zu ihrer letzten Begegnung in der Studiokantine in Burbank Anfang September wirkte sie ausgesprochen kämpferisch. Da war etwas in ihren Augen. So ein gewisses Zucken um den Mund. Sie schnäuzte sich die Nase. »Entschuldige, ich bin erkältet.«
»Ich würde einen kleinen Single Malt nehmen, wenn du einen da hast.«
Teal sah ihn mit ausdrucksloser Miene an. Mit fragendem Blick drehte sie sich zu ihrer Assistentin um. »Ähm, wir haben hier keinen Alkohol«, sagte diese. Das Wort »Alkohol« klang aus ihrem Mund wie »Kinderpornos«. »Ich schau mal, was es beim Catering so gibt.«
»Danke, Mel«, sagte Teal, setzte sich wieder und nahm ein Skript zur Hand. »Bitte, nimm doch Platz, Kennedy. Juan, schaff deinen Hintern hier raus. Ich habe eine Besprechung mit meinem Drehbuchautor.«
Der Bodybuilder stand widerwillig auf und schlurfte hinaus. Kennedy setzte sich, wobei er sich einigermaßen zusammenreißen musste, ob ihrer Verwendung des Possessivpronomens nicht auf der Stelle auszurasten. Mein Drehbuchautor. Na klar, die Produktion hatte begonnen. Ab jetzt war der Filmstar-Modus angesagt – die gelassene Kumpanei der Vorproduktion hatte längst ausgedient.
»Du wolltest ein paar Ideen mit mir besprechen?« Er holte Notizbuch und Stift hervor.
»Genau. Ich habe mich eingehender mit der Rolle beschäftigt, und dabei haben sich einige Dinge ergeben. Nur ein paar Sachen, die ich, wie ich finde, ein wenig smarter spielen könnte …«
Ein wenig smarter spielen. Kennedy hatte sechs Romane, einer davon ein internationaler Bestseller, und über ein Dutzend Drehbücher, zwei davon echte Blockbuster, geschrieben. Und doch musste er sich diesen Schwachsinn überraschend häufig anhören. In der Regel von Schauspielern, Regisseuren und Produzenten, die in ihrem ganzen Leben noch nichts Längeres als einen Tweet oder eine E-Mail geschrieben hatten. Er fragte sich ernsthaft, warum sie ihm gegenüber überhaupt diese Scharade betrieben, statt einfach zu sagen: »Was du dir da zusammengekritzelt hast, ist völliger Schwachsinn.«
Sie schlug eine Seite des Skripts auf. Kennedy registrierte, dass der Rand des Blattes dicht mit in kindlicher Handschrift verfassten Notizen bekritzelt war.
»Ah ja. Hier zum Beispiel, in dieser Szene, die wir heute drehen. Wenn Gillian sagt: ›Du brauchst keine Frau, keine Geliebte und keine Partnerin.
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