Straight White Male: Roman (German Edition)
Du brauchst höchstens eine persönliche Assistentin. Alles, was für dich noch zählt, ist, dass die Züge pünktlich fahren, Will.‹«
»Ja?«
»Ich denke nicht, dass meine Figur das sagen würde.«
Kennedy musterte die junge Frau. Sie sah wirklich so gut aus, dass es fast schon ein Affront gegen den Rest der Menschheit war. Ihre Gesichtszüge – die Lippen, die Zähne, die Augen – waren allesamt einen Hauch übertrieben. Wie dieses perfekte Gemüse, das es in den amerikanischen Supermärkten zu kaufen gab. Schwer zu sagen, was genau der Auslöser war: der überhitzte Trailer, die Tatsache, dass seine Mutter sterbend in Dublin im Krankenhaus lag, während er hier saß und gezwungen war, sich diesen Mist anzuhören. Oder vielleicht war er einfach zu alt und zu satt, um sich so etwas noch anzutun. Vielleicht lag es auch daran, dass er sich nach einer Zigarette und einem Drink verzehrte, es in dieser rauchfreien Zone aber keinen Whisky gab. Was immer dafür verantwortlich war, irgendetwas in ihm machte klick. Und statt zu sagen: »Mmmm, interessant, dann erzähl mir doch mal, wie du die Figur siehst«, fragte er: »Dürfte ich mal?« Sie reichte ihm das Skript, und er las die anstoßerregende Dialogpassage.
GILLIAN
Du brauchst keine Frau, keine Geliebte und keine Partnerin. Du brauchst höchstens eine persönliche Assistentin. Alles, was für dich noch zählt, ist, dass die Züge pünktlich fahren, Will.
»Tja, die Sache ist«, sagte Kennedy, »dass sie ganz genau das sagt.«
»Wie meinst du das?«, fragte Teal.
»Na ja, sie sagt es halt.« Er deutete auf das Blatt.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, dass sie es genau hier sagt. Siehst du? Hier!« Er drückte seinen Zeigefinger auf die entsprechende Stelle. »Hier, wo in Versalien ihr Name steht. Siehst du den eingerückten Textblock unter dem Namen? Der steht für Dialog. Das bedeutet, dass es das ist, was sie an dieser Stelle laut Drehbuch sagt. Was wiederum heißt, dass du diese verfickten Worte sagst .«
»Entschuldige bitte?« Teal sah ihn jetzt aufrichtig befremdet an.
»Das passiert gerade nicht wirklich, oder? Du willst mit mir allen Ernstes über Charakterisierung und Motivation der Figuren reden? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du überhaupt weißt, wie man einen Löffel hält. Wenn ich auch nur noch einen einzigen Funken Selbstachtung besäße, würde ich dich eigenhändig umbringen.«
Es dauerte volle zwei Sekunden, bis sie das verdaut hatte. Wie lange war es wohl her, dass zuletzt jemand in diesem Ton mit ihr gesprochen hatte? Kennedy blieb genug Zeit, sich das zu fragen, bevor Teal der Kragen platzte.
» ICH SPRECHE VON MEINER INTERPRETATION DER ROLLE! «
Die Visagistin schreckte hoch. Der Bodybuilder baute sich drohend im Türrahmen auf. Die eben zurückgekehrte Assistentin stand wie erstarrt hinter ihm – in der Hand eine Flasche J&B.
»Deine Interpretation? Hör zu, du blöde Nuss – während du noch im Valley gekellnert, die Schwänze von ausführenden Produzenten gelutscht und auf einen Rückruf wegen einer Rolle in Analmonster Teil 5 gehofft hast, habe ich mich eingehend mit Interpretationen beschäftigt. Und während du noch versucht hast, mit der Scheiße aus deiner Windel deinen bescheuerten Namen auf den Badezimmerboden zu schmieren, habe ich die Universität mit Bestnoten in Literatur und Anglistik abgeschlossen. Ich habe fünfundzwanzig Jahre meines Lebens auf diese eine Seite des Drehbuchs verwendet. Das ist ungefähr die Zeit, die du auf der Welt bist. Ich besitze beschissene Krawatten , die älter sind als du. Warum hältst du also nicht einfach deine dämliche Klappe und spielst die Rolle so, wie ich sie geschrieben habe?«
Julie Teal sah ihn an. Ihr Mund beschrieb einen winzigen Kreis. Ein Polo-Pfefferminz. Als sie schließlich die Sprache wiedergefunden hatte, waren ihre Worte geflüstert, eiskalt und wohlüberlegt.
»Dieser. Film. Ist. Für. Dich. Gestorben.«
»Spitze. Wir sehen uns.« Kennedy stand auf. »He, Juan, du Muskelschwuchtel, geh aus dem Weg. Zieh Leine und mach dir einen verfickten Proteinshake.« Er schob sich an dem Idioten vorbei und riss der Assistentin die Flasche J&B aus der Hand. »Das ist übrigens kein Malt Whisky«, sagte er und trat die Tür auf, während Teal hinter ihm in Tränen ausbrach.
Auf dem Weg zum Auto – er schraubte gerade den Deckel der Whiskyflasche auf – kam Kennedy an Spengler und Kevin vorbei.
»Und, wie ist es gelaufen?«, wollte Spengler
Weitere Kostenlose Bücher