Strandglut 27 Short(s) Stories
hatte sich selbst die Reise nach Miami geschenkt, um dem ersten Weihnachtsfest ohne Sven zu entkommen. Schließlich war sie es gewesen, die Sven verlassen hatte. Lustlos hatte sie ihre Abende in Miami Beach in öden Diskotheken verbracht und sich immer wieder versichert, dass es richtig gewesen war, den blöden Kerl in die Wüste zu schicken. Sven konnte sich einfach nicht entscheiden. Das einzige, was er sicher wusste, war, dass er keine Kinder wollte. Als Sandra in der langen Schlange vor dem Eingang von Disney Land stand schnürten ihr die erwartungsfrohen Augen der Kinder fast die Kehle zu. Sie hatte in schwarze Kulleraugen, in braune, in Schlitzaugen, in blaue Augen geschaut und dann hatte sie erst mal gar nichts mehr gesehen, weil ihre eigenen Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Alle Welt hatte Kinder, nur sie nicht. Und sie war bereits 35.
Jingle Bells, Jingle Bells… Sie konnte dem Weihnachtsrummel nicht entkommen. Also hatte sie sich entschlossen, sich ihm zu stellen. Am ersten Weihnachtsfeiertag hatte sie eine Busreise nach Orlando gebucht. Was hatte sie erwartet? Eigentlich nichts, sie hatte einfach nicht nachgedacht. Und dann stand sie da in einer sich mehrfach windenden Menschenschlange und wartete darauf, zu den karibischen Piraten eingelassen zu werden. Nicht dass sie sich wirklich für karibische Piraten interessiert hätte. Sandra schaute sich um. Neben ihr stand eine asiatische Familie mit einem heulenden Kind. Vor ihr wabbelten dreißig Kilo zu viel über einen Jeansbund, nur mühsam verdeckt durch ein blassgrünes T-Shirt. Ein ebenso dicker Junge, der wohl zu dem blassgrünen T-Shirt gehörte, versuchte einem kleinen schwarzen Mädchen die quietschgelbe Haarspange aus einem gezwirbelten Zopf zu ziehen, während das blassgrüne T-Shirt Erdnüsse futterte. Schräg gegenüber blickte Sabine in ein Paar blaue Augen, die gegen die Sonne blinzelten. Sie wurde von hinten gestoßen. Sorry, Ma’m“, sagte eine piepsige Stimme. Ihr Blick wanderte zurück zu den blinzelnden Augen, die das fühlte sie, immer noch auf ihr ruhten. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf. Der Mann mit den blauen Augen lächelte. Sabine schaute demonstrativ weg. Der Mann hatte ein Kind dabei.
Als Sandra endlich am Eingang zu den Wagen angelangt war, sah sie, dass der Mann mit den blauen Augen und dem kleinen Jungen an der Hand stehen geblieben war. Sie tauchte ein in das Dämmerlicht und nahm die Sonnenbrille ab. Er hatte auf sie gewartet. Sie schaute ihm in diese intensiven Augen, nahm seine blonden Haare wahr. Der Ordner wies Sandra einen Wagen zu und winkte den Mann und seinen Sohn hinterher.
„Hi“, sagte der Mann.
„Hi“,. Die Sicherung legte sich über sie, vollautomatisch, lautlos schwebten sie in eine Röhre. Sandra schloss die Augen. Sie fühlte sich plötzlich geborgen in diesem Wagen, mit diesem Mann und seinem Sohn, der vor Aufregung ihre Hand gegriffen hatte.
„Achtung Marc, Piraten“, sagte der Vater auf Englisch und legte den Arm um seinen Sohn. Seine Hand war nah an Sandras Schulter. Es war ihr nicht unangenehm. Sie schwebten über brackigem Wasser, vorbei an einem gekaperten Schiff. Im Wasser schwammen Kisten mit Flaschen, auf dem Schiff lieferten sich zerlumpte Seeräuber ein Gefecht.
Der kleine Marc schrie vor Vergnügen. Sandra rollte klebriges Popcorn auf die Jeans. Marc war so fasziniert von der Höhle, in die sie gerade schwebten, dass er einen halben Becher über sie ausstreute. „Sorry“, entschuldigte sich sein Vater. Sandra lächelte. Der Wagen schoss ein Gefälle hinab. Marc lies das gesamte Popcorn fallen, alle drei klammerten sich an die Sicherung. Marc schrie. Oder Sandra? Sie schrien alle drei, so schnell ging es kopfüber in das tosende Wasser. Hoffentlich wird dem Kleinen nicht schlecht, dachte Sandra, während sie durch die Schatzkammer des Roten Korsars schwebten. Und dann waren sie auch schon wieder am Ausgang.
Der Mann mit den blauen Augen reichte ihr die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Sie nahm einen Hauch seines Aftershaves wahr. Marc zog an ihrer Hand. Er wolle sofort zur Big Thunder Railroad, sagte er. Aber vorher Icecream. Der Vater lächelte sie entschuldigend an. „Ich bin Robert, wir sind aus Boston, und wo kommen Sie her?“
„Aus Hamburg, ich bin Sandra aus Deutschland.“.
„Sandy“, sagte Marc und zog an ihrer Hand. „Sandy komm’ mit, wir gehen jetzt zur Big Thunder Railroad“. Robert kaufte dreimal Eiscreme. Und wieder saßen sie gemeinsam in
Weitere Kostenlose Bücher