Strandglut 27 Short(s) Stories
Schrankwand. Darin steht eine Keksdose. Eine goldfarbene Keksdose. Darin ist Geld, nicht viel. Ich sehe die Mutter ihrer Freundin weinen. Sie kommt nach Hause aus dem Supermarkt, wo sie jeden Tag an der Kasse sitzt. Und die Keksdose ist weg. Die Tochter erzählt etwas von einer hochschwangeren Frau, die unbedingt auf die Toilette musste.“
„Ulrike“, stöhnte Frau von Stein. „Meine Freundin Ulrike. Ich habe seit Jahren nicht mehr an dieses verlogene Miststück gedacht.“
„Das Miststück hat für sie gelogen. Auch als der neue Liebhaber ihrer Mutter sich im Suff in der Badewanne ertränkte.“
„Jetzt reicht es aber“. Der Stuhl polterte zu Boden als Frau von Stein aufsprang.
„Ruhig, ganz ruhig. Ich sehe einen Mann. Ihre Hochzeit.“
Frau von Stein hob den Stuhl auf und setzte sich wieder. „Ja?“
„Die Braut ist noch sehr jung. Es ist ihr erster Mann. Sie sind sehr jung Witwe geworden.“
Petra von Stein nickte.
„Ich sehe ein Messer. Und eine Maske.“
Frau von Stein schaute sie irritiert an.
„Es ist ein Chirurg.“
„Ja. Ein Chirurg. Wird er mich heiraten?“
„Er schneidet. Nein, er meißelt. Es ist irgendwo in ihrem Gesicht. Ich sehe, wie sich das Gesicht ändert.“
In der Stille des Raumes konnte man Frau von Stein schlucken hören.
„Den Chirurgen meine ich nicht. Sehen Sie da nicht noch einen?“
„Ich sehe eine Beerdigung. Sie stehen an einem Grab. Viele Leute schütteln ihnen die Hand. Sie sind die Witwe.“
„Wie alt bin ich?“
Larissa lächelte.
„So um die fünfzig.“
„Das ist noch lange hin. Ich werde ihn also heiraten.“ Larissa lächelte wieder. „Wollen wir das jetzt auspendeln?“
„Nein, nein, danke, Sie haben mir sehr geholfen.“
Frau von Stein war aufgestanden und holte 400 Euro aus einer Schlangenledertasche.
„Danke Ihnen sehr“, sagte sie und schritt zur Tür.
Nichts an ihrem römischen Profil erinnerte an die Geiernase, die Larissa aus der Zeit, als sie sich noch Ulrike nannte, so gut in Erinnerung hatte. Es waren die Augen, an denen sie Petra Müller erkannt hatte. Diese schmalen, blassblauen Augen, denen kein Chirurg dieser Welt einen Ausdruck verleihen konnte.
Das Kastanienmädchen
Schon wieder eine Beule im Auto. Wo zum Teufel sollte sie parken? Die ganze Straße war von Kastanienbäumen gesäumt und nachts hörte sie das blub, blub der auf Blech fallenden Kastanien. Missmutig wischte sich Heidemarie den Regen von der Stirn. An der Kreuzung wäre sie fast gegen einen Laster gerutscht. „Das kann ja heiter werden“. Wie sie das rottende Laub, die beschlagenen Scheiben, das graue Nieselwetter hasste. Vor allem abends konnte sie kaum etwas sehen. „Altersschwachsichtigkeit“ hatte ihr die Augenärztin erklärt und ihr eine Brille verschrieben, mit der sie zwar geradeaus gucken konnte aber beim Einparken jeden Bordstein um mindestens einen Meter verfehlte. Als Heidemarie von fern die blinkenden Lichter sah, wusste sie, dass die Katastrophe komplett war. Ein Tieflader hatte sich an der Autobahnauffahrt quer gestellt und die Wagen stauten sich, soweit das Auge reichte. Sie bog in eine kleine Seitenstraße, umrundete einen Platz und verlor sich in einem Gewirr aus Gassen und Sträßchen. Die Stadt meanderte aus in Laubenkolonien und Industriegebäuden.
„Wo bin ich?“ Die Straßennamen waren durch die beschlagenen Scheiben kaum zu erkennen. Sie fuhr rechts ran und versuchte sich an Hand des Plans zu orientieren. Ihr brach der Schweiß aus bei dem Versuch, den Plan an der richtigen Stelle aufzufalten, er verhedderte sich im Steuerrad. Sie missachtete den Regen, die Frisur war eh hin, stieg aus und breitete den Plan auf der Motorhaube aus. Als der Wind versuchte, ihn mitzureißen, atmete sie tief durch. Dieser Geruch, woran erinnerte er sie nur?
Heidemarie blickte auf und schaute über den Bahndamm in die Schrebergärten.
Sie faltete den Plan zusammen, schloss ihr Auto ab und ging einfach ihrer Nase nach. Gummigeruch. Jawohl, Gummi und Moder. Der Bahndamm. Die Galvanisier Anstalt. Kohle und Hagebutten. Und dann hörte sie die Stimme ihrer Mutter:
„Heidi, komm rauf’.
„Es ist so schön, ich will noch ein bisschen spielen“.
„Heidi, du wirst dich erkälten!“
„Nur noch eine halbe Stunde, Mutti!“
Mutti hatte keine Chance. Heidi kletterte über die Mauer zum Nachbargrundstück, verschwand zwischen den wehenden, rosa Laken, die die Nachbarin vergessen hatte abzunehmen, und entkam dem Blick ihrer Mutter durch den
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