Strandglut 27 Short(s) Stories
dem Kajalstift. Das Auffälligste an Larissa war jedoch ein Hühnerei großer Rubin, der den Blick ihrer Besucher wie zufällig auf ihren stolzen Busen lenkte. Ihre dunkelblonden Spaghettihaare hielt sie sorgsam unter einem Turban versteckt, was ihr in den letzten Monaten zunehmend schwerer fiel. Allerdings weigerte sie sich beharrlich, ihren oft schweißnassen Kopf auf den Beginn der Wechseljahre zu schieben. Ab und an tröpfelte es bereits auf ihre grüne Kristallkugel, wenn sie sich mit dem Ausdruck höchster Konzentration darüber beugte, um für ihre Kunden einen Blick in die Zukunft zu werfen. „Larissa Ludolf – Sehende in der vierten Generation“ stand in ihren Anzeigen.
„Also dann bis Sonntag, mein Schätzchen, Mutti kocht Rouladen“, verabschiedete sie sich am Telefon von ihrem Sohn, als es klingelte. Ächzend erhob sie sich von ihrem roten Divan, zündete ein Räucherstäbchen an und öffnete die Tür. Eine perfekt manikürte Hand mit einem Brillanten, der gut und gerne 1,5 Karat hatte, streckte sich ihr entgegen. Larissa bedauerte bereits, nicht mehr als 350 Euro verlangt zu haben. „Petra von Stein“, sagte die Dame. Sie betrat das eineinhalb Zimmer Neubauapartment nicht, sie nahm es bereits mit dem ersten Schritt in Besitz.
„Was genau wollen Sie wissen“, fragte Larissa ihre Kundin, nachdem sie sich an den mit grünem Filz bezogenen Tisch gesetzt hatten.
„Ich will wissen, wie meine Zukunft aussieht“.
Natürlich, was sonst, dachte Larissa. „Keine speziellen Fragen?“
Petra von Stein zögerte. Mit ihren langen Fingern zupfte sie sich eine blondierte Strähne zurecht. „Werde ich wieder heiraten?“
Aha. Larissa räusperte sich. „Also wir machen eine Dreifachanalyse“, sagte sie. Horoskop, Tarot und Kristallkugel.“
Wenn sie ein Stück ihres Geliebten dabei haben, könnten wir natürlich auch Pendeln. Pendeln kostet allerdings extra. 50 Euro.“
Petra von Stein nickte. „Gut, dann fangen wir mit dem Horoskop an. Sagen Sie mir bitte ihr Geburtsdatum und die Stunde ihrer Geburt, damit ich für Sie eine Sternenanalyse erarbeiten kann. Wie ich Ihnen ja bereits am Telefon sagte, wird das ein paar Tage dauern, bevor ich Ihnen eine genaue Analyse schicken kann.“
„3.12.1977, sechs Uhr morgens.“ Larissa lächelte.
„Gut, dann schauen wir jetzt mal in die Kugel, damit wir erst einmal einen allgemeinen Überblick bekommen.“ Larissa beugte sich über die Kugel und konnte die Spannung ihres Gegenübers fast mit den Händen greifen. ‚Konzentriere dich’, dachte sie und wischte eine Schweißperle von der Kugel. 400 Euro, das war fast die Miete für einen Monat. Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder und dann sah sie das Gesicht. Ein pickliges Mädchen mit einer Geiernase und schlechten Zähnen.
„Was sehen Sie?“ fragte Frau von Stein ungeduldig.
Larissa winkte mit ihren Wurstfingern ab. „Moment, bitte, ich muss mich konzentrieren.“
Sie starrte weiter in die Kristallkugel und dann erschien ein zweites Gesicht. Ein lachendes Jungmädchengesicht mit Babyspeck. Sie schloss wieder die Augen um das Bild auf sich wirken zu lassen.
„Ich sehe ein junges Mädchen“, sagte sie.
Frau von Stein beugte sich unwillkürlich vor. „Und weiter?“
„Zwei junge Mädchen. Freundinnen. Die eine sieht aus, als ob sie das Kleid ihrer großen Schwester trägt.“ Frau von Stein zog heftig die Luft ein. „Die andere sollte besser keinen Minirock tragen.“ Larissa sah, wie Frau von Stein in der Andeutung eines Lächelns den Mund verzog.
„Die beiden sitzen auf einer Bank. Nein, keine Bank, es ist eine Mauer. Sie rauchen. Tuscheln. Sie verabreden etwas. Oh Gott.“
„Was ist?“
„Ich sehe Feuer. Es brennt.“
Frau von Stein fuhr sich über das Gesicht. „Das ist lange her. Schauen wir in die Zukunft.“
Larissa blickte in ihre blassblauen Augen. „Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit.“
„Danke, ich kenne meine Vergangenheit. Sagen sie mir etwas über die Zukunft.“
„Langsam, das Bild muss sich entwickeln.“ Larissa dachte an die 400 Euro.
„Die Mädchen rennen weg. Obwohl sie den Mann schreien hören“.
„Hören Sie auf, ich sagte, mich interessiert die Vergangenheit nicht.“
„Niemand hat die beiden Mädchen in Verdacht.“
„Aufhören, sage ich.“
„Das Problem ist nicht geregelt. Ich sehe den nächsten Mann. Es ist der Liebhaber ihrer Mutter, nicht wahr?“
„Hören Sie auf, verdammt noch mal.“
„Ich sehe eine dunkelbraune
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