Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
»Ich wollte dir ein paar Fragen stellen. Erstens: Gehörst du zu diesem Orden?«
Tickende Stille im Hörer. Schließlich hörte ich das Klicken eines Feuerzeugs und ein langes Inhalieren. Ich sah ihn richtig vor mir, wie er in seiner Wohnung saß, den vollen Aschenbecher vor sich auf dem kippeligen Küchentisch, daneben das Fenster mit Aussicht auf eine kahle Mauer und an den Wänden innen Schutzsymbole unterschiedlichster Kulturen – afrikanische Masken, Ojos de Dios, ein schweres Silberkreuz. Ich konnte beinahe den Verkehr vor dem Haus hören, aber das tat ich vielleicht wirklich. »Verfluchte Schande! Wo bist du?«
Als würde ich dir das sagen, ehe ich weiß, was los ist! »Gehörst du zu dem Orden, August? Ja oder nein?« Mein Dad hat mich nicht zum Dummchen erzogen! Das weißt du.
»Natürlich gehöre ich zu denen, was hast du denn gedacht? Wo bist du, Kleines?«
Ich sagte es ihm, und er holte hörbar Atem.
Dieses Geräusch kannte ich. Das war der klassische Erwachsene, der mir im Klartext sagen wollte, was ich zu tun hatte. Ich hätte allerdings in einer Million Jahren nicht gedacht, dass ich mich jemals darüber freuen würde.
August machte keine Umschweife. »Wo ist Reynard? Er sollte bei dir sein. Gib ihn mir!«
Oh, wow! »Christophe? Er steht draußen auf der Veranda und raucht mit meinem Freund.« Mit anderen Worten: Graves beschäftigt ihn, damit ich ungestört telefonieren kann. »Kennst du ihn?«
»Er ist einer der Besten, die der Orden hat. Dru, du musst da weg! Sag Christophe, dass es eine rote Zone ist, aus der du dringend rausgeholt werden musst!«
Noch nie hatte ich August so verängstigt gehört. »Wegen Sergej?« Der Name brannte auf meiner Zunge, und ich fragte mich, ob das an der Gabe lag oder daran, dass ich wusste, was er war.
Es war der erste Blutsaugername, den ich kannte. Manche Leute, die von der Echtwelt wussten, sprachen sie niemals aus. Sie benutzten Initialen oder Codes.
August röchelte. »Verdammt noch mal, Dru, das hier ist kein Spaß! Hol mir sofort Reynard ans Telefon!«
Endlich kümmerte sich jemand um alles! Ein Erwachsener. Ein richtiger Erwachsener. »Schon gut, du musst mich nicht anschreien. Warte kurz!« Ich legte den Hörer auf den Küchentresen und stapfte den Flur entlang zur Vordertür, die ich aufriss.
Graves drehte sich erschrocken zu mir um. Er hielt eine Zigarette auf halbem Weg zu seinem Mund und war blass unter seiner Dauerbräune. Ich erkannte, dass er meine Handschuhe trug, die ihm etwas zu klein waren, und die Aufschläge seines langen Mantels flatterten im Wind, der über die Veranda fegte und die Spitzen der toten Pflanzen durchschüttelte. Sein Haar war vollkommen windzerzaust, wohingegen Christophe, ruhig und makellos, nur in Jeans und Pullover draußen war. Er stand neben dem Loch im Verandageländer, den Kopf erhoben, als wollte er den Wind prüfen. Blonde Strähnen leuchteten wieder in seinem Haar, das sich kaum zu bewegen schien.
Die Kälte fuhr mir bis in die Knochen. Könnte Christophe mir beibringen, wie man im tiefsten Frost herumlief, ohne dass er einem etwas ausmachte? »August will dich sprechen.« Es war wie früher, wenn ich Dad Nachrichten weitergab. Das weckte ein Gefühl in mir, für das ich keinen Namen hatte.
Doch: Erleichterung, die sekündlich größer wurde. Hier war jemand, der mehr Erfahrung besaß als ich, obwohl er in meinem Alter war. Genau das, was ich brauchte, nicht wahr? Jemand, der mir sagen konnte, was ich tun sollte, nachdem die Fäden, die mein Leben zusammengehalten hatten, gekappt worden waren. Mit August und diesem Jungen würde alles wieder unter Kontrolle gebracht werden. Man kümmerte sich um mich. Um alles.
Chris warf mir einen merkwürdigen Blick zu, als er an mir vorbeiging. Seine blauen Augen nahmen einen dunkleren Ton an, und bei dem Apfelduft, den er zurückließ, fröstelte ich. Graves schnippte seinen Zigarettenstummel in den Schnee. Die rote Glutkugel segelte durch das Grau in Grau zwischen dem wolkenverhangenen Himmel und dem schneebedeckten Vorgarten. »Ist er okay?«
Ich nickte. Etwas Trockenes, Heißes verfing sich in meinem Hals. »Ja, seine Geschichte stimmt. Komm rein, es ist saukalt hier draußen!«
Graves ging an mir vorbei, und ich sah auf die Straße. Hier war es so ruhig. Eine weiße Decke hatte sich über alles gelegt. Die Nacht über war reichlich Schnee gefallen und teils zu harten Klumpen zusammengeweht, die der heulende Wind herumwarf. Im Radio hatten sie Frost angesagt.
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