Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
inzwischen war der Motor warm. »Es war, als wollten sie uns vertreiben.« Ich hielt an einer roten Ampel. Meine Finger krallten sich so fest um das Lenkrad, dass es schmerzte. Immer noch war das Schrillen in meinem Kopf, vermischt mit der merkwürdigen Klarheit, die einer Heulattacke folgte. »Wir müssen zu dem Extraktionspunkt. Dort wird irgendjemand sein. Und wir müssen ihnen erzählen, was mit Christophe passiert ist. Sie können uns sagen, was wir machen müssen, und uns hier wegbringen.« Hoffentlich.
Die Ampel sprang auf Grün. Ich blickte mich um. Die Querstraße war verlassen. An der Ecke gab es einen Coffee-Shop, in dessen Fenstern warmes gelbes Licht schien, doch drinnen bewegte sich nichts. Die Straßenlaternen brannten, obwohl es taghell war. Der Schnee wurde dichter. Unsere Reifen hinterließen schwarze Spuren auf der Straße. Ich trat langsam auf das Gaspedal.
»Das ist schräg«, stellte Graves leise fest, »als wären wir die letzten Menschen auf der Welt.«
Auf diesen Gedanken hätte ich verzichten können. Dabei hatte ich ihn selbst schon gehabt. »Ist hier sonst mehr los?«
»Klar. Das da ist die Marshall Street. In der wimmelt es immer von Leuten. Vielleicht …«
»Vielleicht was?«
»Vielleicht sollten wir lieber hierbleiben, wo ich Freunde habe.« Er wischte sich über das Gesicht. »Ich glaube das nicht, was Christophe dir erzählt, auch wenn dein Freund sagt, er ist okay.«
Ich überlegte. Mir brummte schon der Kopf, weil ich ihm so viel Denken abverlangte. Und die Tränen, die sich in meinem Hals und meinen Augen stauten, waren keine Hilfe. »Jeder, den wir finden, ist in Gefahr. Wir bringen jeden in Gefahr. Auch wenn ich Chris nicht traue, vertraue ich August. Er würde mich nicht in eine Falle schicken.«
»Und was war mit den Werwolfen?«
»Werwölfe«, korrigierte ich. Woher zum Teufel sollte ich das wissen?
»Wie auch immer, was wollten sie? Und diese Schlangendinger …«
»Die Schlangendinger hatten es auf uns abgesehen. Aber die Werwölfe … Ich habe keine Ahnung. Vielleicht waren sie hinter Christophe her. Der eine allerdings, der dich gebissen hat, war es nicht. Ach, ich weiß es einfach nicht, Graves. Tut mir leid.« Ich habe dich in all das mit hineingezogen, und es tut mir mehr leid, als du dir vorstellen kannst.
»Ich habe gedacht, er bringt dich um.« Er sah durch die Windschutzscheibe, wie ich feststellte, als ich ihm einen Seitenblick zuwarf. »Ich wollte ihm wirklich an die Gurgel gehen.«
Ich glaube nicht, dass er mich umgebracht hätte, aber besonders nett war er eindeutig nicht. Graves hatte hörbar Mühe mit der Vorstellung, dass irgendjemand irgendjemanden umbringt, und ich wusste genau, wie sich das anfühlte. Also beschloss ich, das Thema zu wechseln. »Wie bist du an meine Schlüssel gekommen?«
»Er hatte sie fallen gelassen.« Für einen Moment schwiegen wir beide. Verlassene Straßen mitten am Tag, keine Menschenseele zu sehen, nicht einmal vermummte Gestalten, die sich über die Gehwege kämpften. »Mann, ist das schräg!«
Und ob! Kann ein Blutsauger das, die Außenwelt lahmlegen? Ist das überhaupt möglich? Oder fühlen die Menschen das Böse draußen und bleiben lieber in ihren Häusern? Die Reifen knirschten, der Schnee fiel weiter und wurde minütlich dichter. »Greif mal unter den Sitz! Da sind ein paar Blechkisten. Eine ist blau, das ist der Erste-Hilfe-Kasten. Die andere ist rot, die wollen wir auch nicht. Wir brauchen die unter mir, die graue. Darin ist eine Waffe.«
Er zögerte. »Ich schätze, das ist eine gute Idee. Ich will sie allerdings nicht in die Hand nehmen.«
»Hol sie mir einfach aus der Kiste!« Ich wollte auch nicht, dass er mit der Waffe hantierte, denn er hatte keinerlei Schießerfahrung. »Ich übernehme das Schießen, würde ich sagen. Du mimst einfach den Superhelden.«
Das fand er nicht witzig. »Ich meine es ernst, Dru. Ich habe gesehen, wie er dir weh tat, und da wollte ich nur noch …«
Ich weiß. »Hat er dich verletzt?«
»Nee. Ich habe bloß das Fenster zerschmettert.« Ein abgehacktes, verbittertes Lachen. Er fingerte an seinem Gurt, und ich wollte ihm schon befehlen, sich ja anzuschnallen. »Trotzdem ist mir das echt unheimlich. Ich verstehe das nicht. Ich habe gesehen, wie er dich angriff, und auf einmal war das, als wenn irgendwas in mir ›schnapp‹ macht, und ich wollte ihn umbringen. Wirklich umbringen, nicht einfach so dahingeredet! Begreifst du? Ich war gar nicht ich selbst.«
»Oh.«
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