Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
mich um ihn? Warum war es okay gewesen, ihn zurückzulassen, nicht aber Graves?
Das ist die falsche Frage, Dru. Die Straße ging ein wenig bergab, und der Truck wurde schneller. Das scheußliche Knirschen unter uns erreichte seinen Höhepunkt, während der Wind stöhnte. Ich stellte die Scheibenwischer ab. Sie nützten ohnehin nichts, und die Schlangen fielen jetzt wie die toten Fliegen. Winzige Eisflocken trafen auf die Scheibe und prallten gleich wieder ab.
Die richtige Frage ist, wo die Werwölfe herkommen und warum sie hinter Christophe her sind. Geh der nach! Aber es gab schon so zu viel, womit ich mich befassen musste.
Dann tauchte erstaunlicherweise eine Ampel vor uns auf, und auf der Straße, die unsere kreuzte, waren tatsächlich andere Autos unterwegs. Nicht viele, nur ein paar, doch die Leute darin wunderten sich gewiss, was für komische Girlanden an unserem Truck hingen, als wir bei Grün in die Straße einbogen. Ich stieß einen erstickten Laut aus und merkte, dass meine Wangen nass waren. Die Straßen vor mir ergaben ein bekanntes Muster. Ich fuhr die Busroute zur Schule, wahrscheinlich weil ich sie am besten kannte.
Verfluchter Mist! Verdammt!
»Graves.« Ich musste husten, um meinen Hals frei zu bekommen. Das Knirschen unter den Rädern nahm ab. Schwarze Flüssigkeit lief aus den rasch verfallenden Schlangenleichen. »Irgendwo ist ein Stadtplan. Er lag auf dem Sitz. Such ihn und sag mir, wie ich fahren muss!«
»Ja.« Seine Stimme kippte, und er schniefte. Wir heulten alle beide, ich heftig schluchzend und er so leise, wie er konnte. »Klar. Ja. Phantastisch. Wohin fahren wir?«
O Gott, das weiß ich nicht! »Burke und Zweiundsiebzigste, am Stadtrand.«
»Okay. Gut. Warum fahren wir dahin?«, fragte er, nahm die Hände vom Armaturenbrett und wischte sich die Augen mit seinem Ärmel. Ich konnte meine verkrampften Finger nicht vom Lenkrad lösen, obwohl ich es wollte. Ich wollte meine Hand ausstrecken und Graves trösten.
Und ich wollte, dass mich jemand tröstete. »Weil wir in diesem Tempo nicht lebend aus der Stadt kommen – nicht allein.« Bei Tag. Es musste immer noch Tag sein. Die Scheinwerfer warfen lange Lichtkegel, und alle Straßenlaternen waren an. Wieder blühte der Orangengeschmack in meinem Mund auf, ein fürchterlicher Wachsbelag auf meiner Zunge. »Da finden wir Christophes Verstärkung und einen Extraktionspunkt. Wir brauchen Verstärkung. Verstärkung ist gut. Aus der Stadt kommen ist noch besser.« Gott! Christophe. Mein Hals brannte, und in meinem Arm pulsierte es unangenehm. Wahrscheinlich hatte ich inzwischen überall blaue Flecken, besser gesagt: Ich würde welche haben, falls ich bis morgen überlebte.
»Prima.« Papier raschelte. Graves gab einen heiseren Laut von sich, und ich tat, als würde ich ihn nicht hören. Meine eigenen Schluchzer schüttelten mich durch, trotzdem richtete ich meine Augen stur auf die Straße und umklammerte das Steuer wie einen Rettungsring. »Was zur Hölle war da los?«
»Ich habe keine Ahnung.« Nicht die geringste.
Kapitel 26
A ls wäre alles noch nicht unwirklich genug, erhellte sich der Himmel auf halber Strecke zu einem unendlich tief erscheinenden Eisengrau. Wir mussten eine unsichtbare Mauer durchdrungen haben, hinter der wieder Normalität herrschte. Anstelle der kleinen Eisbrocken fielen nun dicke tänzelnde Schneeflocken. Das Gebläse pustete endlich nicht mehr nur frostige Luft aus. Meine Finger waren taub, und ich wünschte, einer von uns hätte daran gedacht, eine Schachtel Kleenextücher in den Wagen zu werfen, denn ich musste mir dringend die Nase putzen.
Graves hatte aufgehört zu weinen, lehnte in seinem Sitz und hatte die Hände lose in den Schoß gelegt. Solange wir auf den geräumten und gestreuten Hauptstraßen blieben, fand ich das Fahren gar nicht so schlimm, denn hier war es zwar ein bisschen rutschig, aber nicht sehr. Ich sah absichtlich nicht zu Graves.
So viel wusste ich über Jungen: Sie mochten es nicht, wenn man sie beobachtete, während sie weinten – nicht einmal, wenn man selbst auch gerade jämmerlich flennte.
»Was ging da eigentlich ab?«, fragte er schließlich. »Warum haben die nicht versucht, uns zu töten? Das waren doch dieselben Dinger wie das, was mich gebissen hat. Werwölfe.«
Aber der, der dich gebissen hat, gehörte zu einem Blutsauger, und wir wissen nicht, ob das auf die gerade auch zutrifft. Ich nickte und blickte weiter auf die Straße. Unser Tank war drei viertel voll, und
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