Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
und bemühte mich, meine Angst im Zaum zu halten. Als der Bus anfuhr, fragte ich mich unweigerlich, ob die Eule noch oben auf dem Dach saß. Und ob irgendjemand außer mir sie sah.
Du mit deinem Hokuspokus, Dru! Dennoch war es auf eine verquere Art beruhigend, dass Gran mich gelehrt hatte, auf meine Intuition zu hören. Wenn die Eule hier war, musste ich mir keine Sorgen machen. Ich brauchte ihr bloß zu folgen. Vor allem aber musste ich Dad nicht überzeugen, dass solche Omen ernst und real waren, nicht kindischen Ängsten oder einer übersteigerten Phantasie entsprungen. Zwar sollte ich nach Dingen Ausschau halten, die er nicht sehen konnte, und er hatte stets gesagt, ich würde über einen guten Instinkt verfügen … Aber ich vermute, Erwachsene haben grundsätzlich ein Problem mit solchen Sachen, selbst wenn sie wissen, dass da draußen Monster sind.
Noch nie hatte ich erlebt, dass die Welt um mich in Stillstand verfiel. Und die Eule hatte sich bisher auch noch kein Mal am helllichten Tag gezeigt.
Wieder fröstelte ich.
Achtung, Dru! Nur weil du ein Zeichen bekommst, muss es nicht zwangsläufig ein gutes sein.
Das hätte Dad gesagt. Gran hätte wohl bloß genickt und ihre dünnen Augenbrauen auf diese typische Art gelüpft, die mir bedeuten sollte, dass ich wieder einmal etwas aussprach, das längst für alle offensichtlich war.
Ich schluckte, weil mich eine Welle von Heimweh und Einsamkeit überkam. Noch während der Bus aus der Bahnhofsschleife fuhr, ließ der Orangengeschmack nach. Die großen Reifen knirschten auf dem gestreuten Asphalt, und schwankend bewegten wir uns aus dem Busbahnhof. Ich blickte starr aus dem Fenster. Heiße Tränen brannten mir in den Augen. Was kam als Nächstes?
Zwei Stunden später war der Himmel blassgrau überzogen. Kleine, klatschnasse Schneebrocken platschten herab, und abermals hatte ich einen Geschmack im Mund, als schlenderte ich durch einen überdüngten Orangenhain. Ich hörte dasselbe Sirren, wie ein Gong, dessen Ton verklungen war, der aber noch vibrierte. Sofort zog ich das Band mit dem »Halt«-Symbol. Vielmehr griff meine Hand von selbst danach.
So war es immer, wenn man sich auf seine Intuition verließ: Man wusste nie, welcher verrückte Mist als Nächstes passierte.
»Schön warmhalten!«, riet der Fahrer, als ich an ihm vorbeiging. Dasselbe hatte er zu jedem halbwegs freundlich dreinblickenden Fahrgast gesagt, wenn er ausstieg. Ich zog mir nur die Mütze tiefer ins Gesicht, fast bis zu den Brauen, und hoffte, ich würde draußen nicht direkt der Länge nach hinschlagen.
Langsam ausatmend schaute ich mich um. Die Bushaltestelle war eine von Graffiti übersäte Kunststoffmuschel, zu deren beiden Seiten sich endlose Reihen von Lagerhäusern unter dem eisengrauen Himmel erstreckten. Der dichte Schnee machte das Licht noch trüber, und da es später Nachmittag war, würde es bald dunkel werden. Hier im hohen Norden wurde es im Winter sehr früh sehr schnell dunkel.
Richtig schnell und richtig dunkel.
Während ich mich noch umsah, überlegte ich auszuspucken, um den Wachsorangengeschmack loszuwerden. Zischelnd und patschend fielen die matschigen Flocken gegen die Seitenwände der Haltestelle. Grans Eule schwebte auf weichen Flügeln herbei, ein klarer weißer Umriss inmitten des schmutzig grauen Himmels.
Also, jeder Psychiater, dem ich das erzähle, würde mich sofort als wahnsinnig einstufen. Was zum Teufel hatte eine Eule hier zu suchen? Aber ich folgte ihr vorsichtig. Meine Stiefelsohlen versanken im Schnee, der wunderlich zu knarren begann. Was für ein Gehweg sich darunter befand, ließ sich nicht sagen, denn ich kämpfte mich durch wadenhohe, eisige weiße Massen, kletterte über einen graubraun fleckigen Berg, den die Schneepflüge aufgeschüttet hatten, und überquerte die Straße. Drüben galt es, ein weiteres hüfthohes Hindernis zu überwinden, das von Auspuffdämpfen geschwärzt und mit Streusandstreifen durchwirkt war. Dahinter stapfte ich zu einer dunklen Seitengasse. Die Eule glitt marionettenhaft unwirklich und lautlos voraus in die Gasse, wie eine Zungenspitze, die in einer Zahnlücke verschwand. Die Lagerhäuser rechts und links standen leer. Sunshine Meatpacking war auf dem ausgeblichenen Schild des einen Gebäudes zu lesen. Auf und neben den Buchstaben waren dicke Eisklumpen, die der Wind dort hingeklebt hatte.
Die Gasse selbst war durch die hohen Mauern zu beiden Seiten vom Gröbsten verschont geblieben. Paletten und anderer Abfall
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