Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
vorkam, und duckte mich hinter die Fahrertür.
Kaum war ich nicht mehr halb blind vor Angst, erkannte ich ein rissiges Loch im Zaun, eben groß genug, um hindurchzuschlüpfen. Das offene Feld war plattgetrampelt, und überall lagen beiseitegeschleuderte Schneeklumpen, während aus den flachen Stellen tote Grashalme aufragten. Wie war das passiert?
Sie umkreisten sich. Der Junge – denn er wirkte nicht älter als ich – bewegte sich geschmeidig fließend und leichtfüßig über dem Schnee, als wäre der Untergrund vollkommen fest. Der Wolf hingegen humpelte und rutschte. Als er fiel, warf er sich knurrend auf seine linke Seite. Das Geräusch war wie Sandpapier in meinem Kopf. Sein heller Fellstreifen schimmerte schneeweiß.
»Ich bin hinter dir«, warnte ich ihn und hoffte, meine Stimme würde nicht zu sehr quietschen. Mein Hals war vollkommen ausgetrocknet. Die pechschwarzen Augen schwenkten nur kurz zu mir, dann zurück zu dem Jungen, der einen Schritt gemacht hatte und so die Aufmerksamkeit auf sich zurücklenkte.
»Du verschwindest besser von hier«, riet der Junge so beiläufig, dass ich meinen Ohren nicht trauen wollte – ebenso wenig wie meinen Augen.
Er hinterließ keine Fußabdrücke im Schnee. Gar keine. Das weiße Pulver gab nicht einen Millimeter unter ihm nach.
»Ich bin bewaffnet.« Langsam trat ich ein wenig vor und hob die Waffe, als er aus meiner Schusslinie ging. Der Kreis, in dem sie sich bewegten, wurde beständig kleiner. »Außerdem habe ich einige Fragen an dich.« Ich richtete meine Waffe so aus, wie Dad es mir gezeigt hatte, und legte einen Finger an den Abzug. Schnee wirbelte herunter. Die Flocken wurden größer, und die Wolken verloren ihren blutigen Schimmer, als die Sonne am Horizont verschwand.
Wieder knurrte der Werwolf und rümpfte die schmale Schnauze. Blutspritzer fielen auf den Boden, von denen kleine Dampfschwaden aufstiegen. Meine Hände schwitzten in den Wollhandschuhen, die von Schmelzwasser und meiner Angst durchnässt waren. Halt die Waffe ruhig, Dru! Und richte das Ding nie auf etwas, das du nicht töten willst!
Der Wolf sah zu dem Jungen, dann zu mir. Ein irres Flackern blitzte in seinen Augen auf, ehe er zwei Schritte zurückwich, den langen Kopf schüttelte, sich knurrend umdrehte und lossprang.
Der Fremde und ich feuerten gleichzeitig. Ein scheußliches Heulen durchschnitt die Luft, als die Kugeln in den Wolf einschlugen. Ich hatte auf seinen Rücken gezielt und wusste schon beim Abdrücken, dass ich ihn traf. Die Gewehrkugel dürfte weniger effektiv gewesen sein. Der Wolf machte einen Satz durch ein brettervernageltes Fenster, so dass nichts mehr blieb außer dem Echo des gruseligen Heulens im Wind. Schnee blies mir entgegen, als ich meine Waffe auf den Jungen richtete. Vor lauter Angst atmete ich hysterisch schwer.
Der Junge nahm sein Gewehr herunter und betrachtete mich von der Seite. Seine Augen waren blau wie meine, nur sehr viel heller, mehr wie der Himmel heute Morgen. Winterblau. Das sah ich noch, ehe der letzte Rest rosa Licht dem orangen Halbdunkel der Straßenlaternen wich. Im gedämpften Schein wirkten die Linien seines Profils weniger scharfkantig.
»Wer zur Hölle bist du?« Ich musste husten, schaffte es aber, die Waffe ruhig zu halten. Ein Tropfen Schmelzwasser rann mir den Nacken hinunter, und ein paar Locken, die sich aus meinem Zopf gelöst hatten, fielen mir ins Gesicht. »Warum schickst du mich quer durch die Stadt?« Und wieso hatte Dad deine Telefonnummer?
Fünfzehn Sekunden lang war er stumm und neigte nur lauschend seinen Kopf. »Wir verschwinden lieber«, meinte er schließlich. Diese komischen Pausen zwischen seinen Worten waren immer noch da. »Das hier ist einer seiner alten Lieblingsplätze, den er bis heute gelegentlich nutzt. Seine anderen Haustiere dürften in Scharen einfallen, und das eher früher als später.«
Wen meinst du mit »wir«, weißer Mann? Und welche anderen Haustiere? Ich habe noch nie gehört, dass jemand Werwölfe als Haustiere bezeichnet. »Wer zur Hölle bist du?« Ich war nur mäßig erleichtert, zu sehen, dass er immerhin einen Schatten warf. Seine Stiefel hingegen schienen nach wie vor unmittelbar über dem Schnee zu schweben, ohne auch bloß den kleinsten Abdruck darin zu hinterlassen. Mein Gott!
Wieder betrachtete er mich von der Seite. »Reynard, Christophe Reynard, sehr erfreut. Kannst du fahren, kleines Mädchen?«
Ich wich vorsichtig tastend zurück. Meine Stiefel knirschten im Gegensatz zu
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