Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
Gesicht wird größer. Nur ihre Augen glitzern, leuchten sommerblau anstelle des üblichen sanften Brauns. Sie deckt mich zu und lächelt, bis ich meine Augen zumache. Bald schlafe ich ein, doch bevor ich ganz weg bin, höre ich noch etwas. Sie hat den Deckel über dem Loch wieder geschlossen. Alles ist stockfinster. Aber es riecht nach ihr, und ich bin schrecklich müde.
Dann höre ich ganz leise, wie die Wandschranktür geschlossen wird, gefolgt von einem Kratzen. Unmittelbar bevor der Traum endet, ertönt ein langes, tiefes, eisiges Lachen, als versuchte jemand, mit dem Mund voller Rasierklingen zu sprechen, und ich weiß, dass meine Mutter in der Nähe ist, dass sie verzweifelt ist und dass gleich etwas sehr Böses geschieht.
Kapitel 19
A m nächsten Tag öffnete die Schule wieder, und am übernächsten überredete Graves mich hinzugehen. Ich glaube, er wusste nicht, was er sonst tun sollte, und nach ein bisschen Gezeter um der Show willen gab ich nach.
Wieso auch nicht? Ich war so oder so schon tot. Mir blieb nichts weiter zu tun, als abzuwarten, bis der Junge mit den blauen Augen mich wiederfand. Mal ehrlich: Man durfte nicht vergessen, dass ich erst sechzehn war. Dads Truck stand wieder in der Einfahrt, aber wenn ich aus der Stadt floh, würde ich auf irgendeiner Autobahn sterben, wahrscheinlich nachts. Ich sähe etwas im Rückspiegel lauern, oder ich würde von der Straße abgedrängt und in einem Graben zerfleischt.
Es war nur eine Frage der Zeit.
Also, wieso nicht? Wieso sollte ich nicht einfach tun, was Graves sagte?
Wenigstens kam ich auf diese Weise einmal aus dem Haus, wo ich ohnehin bloß von Zimmer zu Zimmer wanderte, minütlich schreckhafter wurde, den Flecken auf dem Wohnzimmerteppich anstarrte und Graves anfuhr, sowie er mich dazu bringen wollte, etwas zu essen. Es war mir gelungen, die Standheizung des Trucks anzuschließen, damit der Motor nicht einfror, weil das Garagentor nach wie vor kaputt war, weshalb es sinnlos gewesen wäre, den Wagen hineinzufahren. Das war aber auch in etwa alles, was ich tun konnte, außer wie eine Irre durch das Haus zu tigern und alltägliche Dinge zu betrachten, als würde ich sie niemals wiedersehen.
Die Nächte verbrachte ich im Wohnzimmer hockend, meinen Rücken an die Wand gelehnt und in die Schneewüste vor dem Haus hinausblickend. Jedes Mal, wenn ich einnickte, schrak ich zusammen und war wieder wach. Nach der ersten Nacht beschloss ich, die Waffe lieber neben mich zu legen, und als Graves mich drängte, zur Schule mitzukommen, sagte ich ja, damit er mich in Frieden ließ. Wahrscheinlich dachte er, ich würde langsam ein bisschen wunderlich.
Ich brachte es nicht übers Herz, ihm zu erzählen, dass er mit jemandem zusammenwohnte, der von einem Blutsauger markiert worden war. Warum sollte ich ihm die Laune vermiesen? Ich hatte versucht, ihn ins Einkaufszentrum zurückzuschicken, irgendwohin, Hauptsache weit weg von mir. In meiner Nähe war er nicht sicher. Aber er weigerte sich hartnäckig, und was sollte ich tun? Ihn zusammenschlagen? Das hätte ich zwar gekonnt, doch wozu die Anstrengung?
Ich war so müde. So unglaublich todmüde. Wenigstens war es tagsüber, während der Stunden, die ich in der Schule war, umgeben von anderen Leuten, einigermaßen sicher zu schlafen.
Bletchley dachte darüber natürlich anders. »Sind Ihre Gedanken noch bei uns, Miss Anderson?«
Ich blickte auf das Whiteboard vorn im Klassenzimmer. Das war eine berechtigte Frage. Weilten meine Gedanken bei ihnen? Nein, weder meine Gedanken noch ich war jemals wirklich bei ihnen. Wie ich überhaupt gar nicht zu ihnen allen gehörte. Nicht zu den normalen Menschen jedenfalls. Es gab ein oder zwei von ihnen, die das besaßen, was Gran »die Gabe« genannt hatte. Vielleicht hatten einige wenige von ihnen sogar etwas Seltsames oder Unerklärliches gesehen, aber das hatten sie wahrscheinlich wieder vergessen, sobald sie …
»Miss Anderson?« Bletchley war entzückt. Ihre eierähnlichen Augen schwammen hinter den Brillengläsern, und sie zupfte unten an ihrem Pullover. Heute war es der blaue mit den eingestrickten Rosen.
Ich sah jedoch nur Dads Gesicht, halb zerfressen, und die bis auf die Knochen abgeschürften Fingerspitzen. Blut im Schnee und Füße in schweren Stiefeln, die über der unberührten weißen Kruste schwebten. Der gestreifte Werwolf, der knurrend seine Oberlippe bleckte. Und das Zischen des brennenden Hundes, als er im Springbrunnen landete, der Schwefelgestank
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