Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
Titeln über die Echtwelt, angefangen bei demographischen Erhebungen der Werwolfpopulation bis hin zu einem ganzen Regal über Zauberkunst und schwarze Magie, wo die Buchrücken mit blutroter Folie überzogen waren.
Gedankenverloren kaute ich auf meinem rechten Zeigefingernagel, bis er vollständig heruntergebissen war, und machte mich über den nächsten Nagel her. Was hätte ich für einen Blick in diese Bücher gegeben, als Dad noch lebte! Ihm hätten sie sicher auch gefallen. Ich hätte gern einmal in den Magiebüchern geblättert. Dad hatte menschliche Informationsquellen vorgezogen: Fragen in Okkultismusläden oder in Bars stellen, in denen die Echtwelt verkehrte. Und ich war immer mit dabei, seit Gran gestorben und Dad gekommen war, um mich zu holen. Allmählich dachte ich, dass es für mich sehr viel gefährlicher gewesen sein dürfte, als selbst Dad klar gewesen war. Trotzdem war er jedes Mal, wenn er mich irgendwohin mitnahm, damit ich die Lage prüfte, ziemlich angespannt gewesen.
Inzwischen fragte ich mich, ob seine Anspannung damit zu tun gehabt hatte, dass ich bei ihm war, oder damit, dass ein Fehltritt für uns beide den Tod bedeutet hätte. Und ich fragte mich außerdem, wieso er mir nie erzählt hatte, dass Mom eine Svetocha gewesen war. Warum hatte er nichts gesagt? Gar nichts? Hatte er vorgehabt, es mir zu verraten, wenn ich alt genug war? Und wie alt wäre »alt genug«? Worauf hatte er verdammt noch mal gewartet?
Oder hatte er es schlicht nicht gewusst? War es das Geheimnis meiner Mutter gewesen?
Wie konnte es?
Ich war mittlerweile bei meinem rechten Ringfingernagel angekommen. Andererseits hatte es sich bei Dad nie um den Typ gehandelt, der kuschelte und alles bequatschte. Wir konnten ganze Tage verbringen, ohne miteinander zu reden, weil wir einfach beschäftigt waren. Ich war immer stolz darauf, dass ich genau wusste, was ich zu tun hatte, ohne dass er es mir sagen musste. Gran hingegen hatte gern und viel geredet, mir lieber alles durch Beispiele beigebracht. Neben Dad nahm sie sich wie eine Quasselstrippe aus.
Aber wie hätte Dad es mir klarmachen sollen? Dru, Kleines, deine Mutter war zum Teil ein Vampir, was heißt, dass du es auch bist. Tut mir ehrlich leid.
Meine Brust tat weh. Ich kniff die Augen zu und versuchte, es zu verdrängen.
In diesem Moment ging die Tür auf. Ich blieb auf dem Stuhl hocken, obwohl mein Herz einen fiesen Überschlag machte und ich einen Aufschrei unterdrücken musste. Ich packte die Armlehnen mit beiden Händen und stellte meine Füße auf, falls ich eilig aufstehen müsste.
Fast zu sterben, machte einen ein bisschen schreckhaft.
»Hier ist sie.« Dylan klang müde. » Entrez-vous, mein Zimmer ist Ihres.«
Ich hörte leichte Schritte und ein Rascheln. Ein würziger, guter Duft erfüllte das Zimmer, und ich reckte den Kopf vor, um Dylan zu fragen, wo zur Hölle Graves war.
Die Worte blieben mir im Hals stecken, als mein Berater zur Seite trat, die Tür schloss und sich wie ein Wachposten davorstellte. Ein Schatten glitt an ihm vorbei und auf mich zu.
Sie war groß für ein Mädchen und ihr Haar eine prächtige Wolke rötlicher Locken. Sie hatte schmale Schultern, große blaue Augen, ein spitzes Kinn und trug ein langes altmodisches Kleid aus roter Seide. Das Haar war perfekt mit zwei schwarzen Samtbändern zurückgebunden. Sie drehte sich halb, lehnte sich nach hinten und schwang sich auf Dylans Schreibtisch, so dass ihr Rock einige Papiere wegschob.
Ich guckte sie sprachlos an. Ihre Stiefel waren spitz, mit Absätzen und einer Reihe winziger Knöpfe, die ihre Schienbeine hinaufwanderten. Sie überkreuzte die Knöchel und sah mich an. Ihre Augen wurden ein wenig heller, und dunkle Strähnen huschten durch ihr Haar, dessen Locken sich wellten, als ihre Gabe sie durchflutete. Die winzigen Spitzen zarter kleiner Reißzähne berührten ihre Unterlippe.
Ach du Schande! Ich glotzte noch verdutzter.
»Dru«, sagte Dylan eher ruhig, »das ist Lady Anna. Milady, das ist Dru Anderson.«
»Hallo, Dru.« Sie hatte eine hübsche glockenhelle Stimme. Ich blieb, wo ich war, meinen Mund halb offen. »Ist das ein Kosename? Wofür ist es die Kurzform?«
Darauf würde ich ja wohl so was von gar nicht antworten! Aber mein Mund öffnete sich trotzdem weiter. »Sie sind eine Svetocha «, platzte es aus mir heraus. »Mein Gott, ich dachte, ich bin …« Ich hörte mich vorwurfsvoll an, und Dylan richtete sich unsicher auf, wobei seine Jacke knarrte. »Du Scheiße!
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