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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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klar, ich war ein Illegaler und wurde polizeilich gesucht, doch in meinem Traum sah ich mich dieses kleine Geschäft auf Judits Namen anmelden und dort jahrelang im besonderen Duft – Tinte, Staub, alte Gedanken – der Bücher ausharren im Vertrauen darauf, dass die Polizei sich nur wenig für das geschriebene Wort interessierte und Buchhändler in der Regel eher in Ruhe ließ, wie man mich auch heute, hier in meiner Bibliothek, nur sehr selten belästigt: Es ist der einzige Freiraum an diesem Ort, und manchmal kommen sogar die Gefängnisaufseher auf ein Schwätzchen hier vorbei. Wenige Leser, viele Bücher. Unser Knast ist sicher weit entfernt davon, der bedeutendste unter den Haftanstalten Spaniens zu sein, aber er ist bestimmt einer der modernsten; um mich herum spazieren die Hunde durch die Flure.
    Das Leben ist ein Grab, die Straße der Diebe, Endstation Nord, leeres Versprechen, hohle Worte.
    Die Ankunft Cheikh Nouredines fiel mit der Diagnose von Judits Tumor zusammen. Der Arzt vermutete, die Allergien, die Nebenhöhlenentzündung oder Gott weiß welche Depression könnten die Symptome einer schlimmeren Erkrankung sein; ihre Eltern bezahlten die Computertomographie aus eigener Tasche, um die Wartezeit für Kassenpatienten zu umgehen, und wir bekamen das Ergebnis, irgendetwas wuchs an der Seite ihres Gehirns. Blieb noch abzuwarten, ob dieses »etwas« heilbar, operabel, bösartig, gutartig war, ob es Hoffnung gab oder ob ihre Lebenserwartung davon berührt wurde , wie die Weißkittel sagten – ich nahm die Nachricht auf wie eine Ohrfeige. Obgleich Judit es mir vorsichtig mitteilte, als ob sie sich mehr um mich als um sich sorgte, eine Wirkung ihrer Krankheit vielleicht. Ihre Mutter konnte die Tränen kaum zurückhalten, ihre Augen zuckten fortwährend. Judit lag auf ihrem Sofa und nahm mich liebevoll an der Hand, und auch ich hatte größte Lust zu flennen, zu heulen, zu beten, ich dachte, Ya Rabb , oh Herr, bitte, lass Judit nicht sterben, du kannst mir nicht alle Frauen nehmen, die ich geliebt habe, und ich dachte an Meryem, vielleicht hatte ich diese Krankheit zum Tode auf beide übertragen, Erbarmen, Herr, lass Judit leben, ich hätte auf der Stelle mein Scheißleben für ihres hergegeben, aber ich wusste nur zu gut, dass der Wechsel nicht angenommen würde.
    Auf dem Nachhauseweg suchte ich Rat im Internet, ich schaute Dutzende Seiten über Hirntumore an, man konnte alles finden, entsetzliche Beschreibungen von der Entwicklung der Symptome einerseits, schöne Geschichten von Heilung andererseits, ich dachte, das ist unmöglich, Judit ist dreiundzwanzig, nach dieser Statistik sind Krebstumore in diesem Alter sehr selten, das alles ist ganz bestimmt falscher Alarm, und ich war so versunken in dieser makabren Irrfahrt durch die Beschreibungen der Schlupfwinkel des Todes, dass ich zu spät zu meiner Verabredung mit Nouredine in der Nähe der Plaça de Catalunya kam, außer Atem, angespannt, traurig und voller Sorge.
    Der Cheikh hatte sich nicht verändert, er saß auf der Terrasse eines Cafés, er sah edel aus, war gut gekleidet; ein junger Typ mit rasiertem Schädel und schwarzem Bart begleitete ihn; als ich auf sie zuging, stand er auf und stürzte in meine Arme: Bassam. Bassam, bei Gott, ich freue mich so, Bassam, du bist also hier, Bassam, er sagte, Lakhdar, mein Bruder, drückte mich an seine Brust, und fast hätte ich vergessen, Nouredine zu begrüßen, der über unsere stürmische Wiedersehensfreude lachte, ich sagte zu Bassam, Junge, Junge, deine Mutter würde dich nicht wiedererkennen, darauf meinte er, und dich erst mit deinem grauen Haar, man könnte meinen, du seist Müller geworden. Es tut gut, dich wiederzusehen, Gott sei es gedankt.
    Vor Rührung umarmte ich auch den Cheikh – und sogleich wussten wir nicht mehr, was wir sagen, wo wir anfangen sollten. Bassam hatte sich wieder an seinen Platz gesetzt, er lächelte nicht mehr; er hatte den verstörenden Blick eines Blinden oder bestimmter Tiere, die immer mit Entsetzen und Unsicherheit in die Ferne zu starren scheinen. Cheikh Nouredine begann, mich über mein Leben in Barcelona auszufragen; er wollte wissen, wie ich hierhergekommen war. Ich erzählte ihnen so in etwa, was ich erlebt hatte; natürlich verheimlichte ich das Ende der Cruz-Episode. Als ich den Brand im »Haus der Verbreitung des koranischen Gedankenguts« erwähnte, schüttelte der Cheikh den Kopf mit einem Ausdruck des Abscheus: die feige Rache eines Gottlosen, eines menschlichen

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