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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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unterhalten, darin konnte ich glänzen, aber selbst wenn sie mich gar nicht so schlecht verstand und selbst gut sprach, hatte ich das Gefühl, wie ein Rundfunkjournalist oder ein Freitagsprediger zu sprechen, was meinen Witzen jede Natürlichkeit und Spontaneität raubte. Versuchen Sie einmal, auf Hocharabisch witzig und verführerisch zu sein, das kann eigentlich nur schiefgehen, sage ich Ihnen; man meint ständig, man würde gleich eine neue Katastrophe in Palästina verkünden oder einen Vers des Korans kommentieren. Dennoch schien Judit Interesse an mir zu haben; sie erkundigte sich nach meiner Familie, ich erzählte ihr, dass mein Vater aus dem Rif stamme, aus einem Dorf bei Nador, und dass meine Mutter Araberin und aus Tanger sei, aufgewachsen in Casa Barata. Ich hatte absolut keine Lust, mich zu diesem Thema weiter auszulassen, aber ich musste es durchziehen. Die Anzahl meiner Geschwister. Schule, Gymnasium. Vorlieben, Hobbys, Religion. War natürlich ein Problem: Wie ihr sagen, dass ich praktizierender Muslim war, ohne westlichen Frauen gegenüber als feindselig und eher rückwärtsgewandt zu erscheinen. Ich hätte es wie Bassam machen können, stundenlang Loblieder auf den Islam singen, bis die Ungläubige konvertierte oder vor Langeweile tot umfiel. Ich entschied mich für eine Banalität von der Art »Den Glauben trägt jeder im Herzen« oder »Alle Dinge singen das Loblied ihres Schöpfers«, was auf Arabisch hübsch und weniger pompös klingt, und wechselte das Thema. Judit stimmte zu. Elena dürfte noch immer ihre endlose Diskussion mit Bassam am Vorabend im Kopf gehabt haben und war mir dankbar dafür. Sie sprach übrigens nicht viel, und ich musste aufpassen, dass meine Begeisterung für ihre Freundin sie nie aus der Unterhaltung ausschloss. Ob ich verlobt sei, eine Freundin hätte? Das war mindestens ebenso schwierig wie die vorausgegangene Frage; ich dachte einen Augenblick an Meryem, im Moment nicht mehr, sagte ich, wobei herauszuhören war, dass ich eine gewisse Erfahrung mit Frauen hatte und dennoch frei war. Schlau.
    Dann war ich mit Fragen dran, besonders eine interessierte mich: Warum Arabisch? Warum lernten sie Arabisch? Abgesehen davon, dass mir eine solche Spezialisierung in beruflicher Sicht wenig aussichtsreich erschien, fragte ich mich, warum um Himmels willen junge Katalaninnen aus Barcelona sich einem solchen zwar edlen Unternehmen verschrieben hatten, das aber dem Wunsch der meisten Bewohner der arabischen Welt diametral entgegenlief: diesem ungerechten Fluch zu entkommen und in den Norden zu emigrieren. Judit hatte ihre Wahl rasch erklärt; sie war immer gerne auf Reisen gewesen und liebte die Literatur; sie hatte angefangen, Englisch zu studieren, die Möglichkeit genutzt, zusätzlich ein paar Arabischkurse zu besuchen, um hineinzuschnuppern; schließlich hatte die Sprache sie fasziniert, und sie hatte sich darauf spezialisiert. Ganz einfach. Elena dagegen wusste nicht recht, was sie antworten sollte; sie sagte, ich weiß nicht so genau, vielleicht nur so, aus Zufall.
    Ich wagte es nicht, ihnen die andere Frage zu stellen, die mir unter den Nägeln brannte, nämlich ob sie einen Freund hatten.
    Dann kehrte die Unterhaltung zur Literatur zurück; Ibn Battuta, der Reisende aus Tanger, der im Mittelalter fast die ganze bekannte Welt bis nach China bereist hatte (den kannte ich, natürlich ohne ihn gelesen zu haben – dreißig Jahre mit der Karawane unterwegs, um schließlich in Fez zu landen, haben sich ja echt gelohnt).
    »Es ist doch erstaunlich, dass Tanger vor allem für diejenigen berühmt ist, die aus Tanger fortgegangen sind«, sagte ich in meinem schönsten literarischen Arabisch.
    »Bei Gott, das ist wirklich merkwürdig«, fügte Judit lachend in derselben Sprache hinzu.
    »Ibn Battuta war zweiundzwanzig, als er zu reisen begann, folglich habe ich nicht mehr viel Zeit, wenn ich mir einen Namen machen will.«
    So ging es stundenlang weiter. Und als ich mich gegen Mitternacht von ihr verabschieden musste, nachdem wir zu Abend gegessen, danach bei Mehdi eine und dann noch eine zweite Tasse Tee getrunken hatten, immer in dem Bewusstsein, dass sie morgen nach Marrakesch abreisen würden, dass trotz ihres Versprechens, auf der Rückreise einen Stopp in Tanger einzulegen, wenig Aussicht bestand, dass wir uns wiedersehen würden, als wie am Vorabend dieser beklemmende Augenblick des Auf-Wiedersehen-Sagens, um nicht zu sagen des Abschiednehmens kam, nachdem ich mich den ganzen

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