Straße der Diebe
ich ihm das Buch in Geschenkpapier einwickeln könne, und dann über meine abschlägige Antwort eingeschnappt war: Er wollte Buch und Verpackung für fünf Dirham, am liebsten hätte ich ihm gesagt, meinetwegen könne er sich seine Heldinnen , seine Münze und sogar seine Frau in den Arsch stecken, aber ich wagte es nicht. Die Revolution ließ auf sich warten.
Ich hörte die Predigt, die von Lautsprechern übertragen wurde, die Sure handelte von den Leuten in der Höhle und von den Reisen Alexanders in die Reiche Gog und Magog; der Imam war gelehrt und fromm, ein weiser Mann, der es nicht mit der Politik hatte; er ging Cheikh Nouredine und unseren Freunden gewaltig auf die Nerven.
Ich wartete darauf, dass Judit auftauchte, ich war überzeugt, sie würde kommen, sie musste einfach kommen. Ich hoffte, sie hatte sich den Ort und Namen des Stadtviertels gemerkt. Für sie hatte ich mir einen Stapel mit den Geschichten der Propheten auf den Buckel geladen, ich beabsichtigte, ihr ein Exemplar zu schenken, es war ein schönes Buch für jemanden, der klassisches Arabisch studierte, und auch nicht zu schwierig, dachte ich.
Alle kamen aus der Moschee, Bassam als Erster; ich verkaufte wie üblich ein paar Bücher, die Zeit verging langsam, ich schaute in alle Richtungen, um zu sehen, ob sie kam, war abgelenkt. Bassam machte sich lustig über mich, er hatte verstanden, worauf ich hoffte.
Um zwei Uhr, als es Zeit war zusammenzupacken, musste ich mich der Tatsache beugen, dass sie nicht kommen würde. Das Leben ist ein Saustall, dachte ich. Der einzige Besucher: das Arschloch von kleinem Bruder.
Ich klappte die Stangen zusammen und war todtraurig. Bassam neckte mich noch immer. Ich war in schlechter Stimmung. Cheikh Nouredine lud uns wie jeden Freitag mit den anderen »aktiven Mitgliedern« der Gruppe zum Mittagessen in ein kleines Restaurant um die Ecke ein; ich hörte zu, wie sie politisierten, über die arabischen Revolutionen etc. Es war amüsant, diese bärtigen Verschwörer dabei zu beobachten, wie sie sich die Finger leckten; der Cheikh hatte sich die Serviette auf die Brust gelegt, eine Ecke in den Hemdkragen gesteckt, um keine Flecken zu bekommen – bei Safransauce hilft nichts mehr. Ein anderer hielt den Löffel in der Faust wie einen Knüppel und aß zehn Zentimeter über dem Teller, um den Weg möglichst kurz zu halten: Er schaufelte Grieß in seinen weit aufgesperrten Mund wie Kies in einen Betonmischer. Bassam hatte schon zu Ende gegessen, zwei große gelbe Striche zogen sich von seinen Mundwinkeln bis zur Mitte seiner Backen, und er lutschte genüsslich an einem letzten Hühnerknochen. Auf den Bärten der Propheten blühten Grießkörner, ein Schauer goldgelber Schneeflocken befleckte sie, und man musste sie dann ausklopfen wie Teppiche.
Vage, weit weg mit den Gedanken, folgte ich der Unterhaltung, ohne mich an ihr zu beteiligen: Ich wusste, dass sie wie jeden Freitag auf die Predigt des verhassten Imam zurückkommen würden, den sie schließlich auf Französisch als Mystiker beschimpften (für Cheikh Nouredine war Mystiker ein noch schlimmeres Schimpfwort als Ungläubiger ; keine Ahnung, warum, aber er sagte immer nur Mystiker , in der Sprache Voltaires, vielleicht wegen der Ähnlichkeit mit moustique, Fliege, oder mastic , Kitt; Sufis oder dergleichen Verdächtige waren sein Floh im Ohr, fast ebenso wie Marxisten). Eigentlich drehte sich das Gespräch um die Sure Die Höhle und ihren Kommentar; der eine fragte, warum der Imam nicht die ersten Verse herausgestellt habe, den Angriff auf die Christen und die Tatsache, dass Gott keinen Sohn hatte; ein anderer regte sich auf, weil er die Figur des Hundes so betont hatte, den Wächter der sieben Schläfer, der sie während ihres Schlummers bewacht; ein Dritter fand, dass es doch Wichtigeres zu behandeln gebe als das Land von Gog und Magog und Alexander den Gehörnten. Cheikh Nouredine beendete die Diskussion, er geiferte Mistik! Mistik! Kullo dhalik mistik! , was jeden fröhlich stimmte.
Ich schaffte es nicht, mich für etwas anderes zu interessieren als für Judit. Sie war nicht gekommen. Was tun, um sie wiederzusehen? A priori , sollten sich die beiden Mädchen an ihre Planung halten, zumindest an das, was ich glaubte am Vorabend verstanden zu haben, würden sie morgen von Tanger nach Marrakesch weiterreisen. Ein Einfall: Ich könnte immer noch bei ihnen im Hotel vorbeischauen. Eine Nachricht hinterlassen, wer weiß, mit E-Mail-Adresse und Telefonnummer; ich
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