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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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Säbel, dem Gewehr oder einer Bombe hantierte, ein Band um die Stirn gebunden, wie man es auf Videos im Internet sieht. Aber es war sicher ganz anders, in den Wüstenbergen von Afghanistan oder in den hintersten Winkeln der Sahara.
    Pass auf Dich auf , khouya, denk an mich, und alles wird gut gehen , mit diesem Satz im Kopf machte ich mich auf den Weg nach Tunis.

Ich habe Judit nichts davon erzählt. Dennoch habe ich ihr nachts, in den ersten Nächten, alles erklärt, ihr von Meryem, Bassam, Cheikh Nouredine erzählt, von den Monaten, in denen ich umherirrte, von den Schlägern, die den Buchhändler verprügelten, und sie hatte Mitleid mit mir, streichelte mich im Dunkeln, wie man die Schmerzen eines weinenden Kindes mit dem magische Balsam eines Kusses lindert; ich vertraute ihr meine Befürchtungen bezüglich des Attentats von Marrakesch an, sie gestand mir, dass sie auch daran gedacht habe, als sie aus ihrem Hotel gekommen war und plötzlich vor Bassam gestanden hatte. Am Anfang, sagte sie, dachte ich, du wärst mit ihm unterwegs, wolltest mich überraschen und wärst mit ihm nach Marrakesch gekommen. Und dann hatte ich ein wenig Angst, er machte mir Angst, er wirkte extrem nervös, fiebrig, als wäre er krank. Er sah sich die ganze Zeit um. Ich habe mich lange gefragt, fügte sie hinzu, ob wir bei unserer Unterhaltung in Tanger den Hotelnamen erwähnt haben. Es ist gut möglich, aber ich kann mich nicht erinnern. Das alles ist ziemlich schrecklich.
    Ich stimmte ihr zu, das alles war irgendwie schrecklich; ich hatte ihr in einer Mail von dem Attentat im Café Hafa erzählt, und als sie nach Tanger zurückkehrte, zeigte ich ihr das Phantombild. Sie sagte nur, das ist er, wie schrecklich, man muss etwas unternehmen.
    Er ist es, das ist furchtbar, es ist Bassam, er ist verrückt geworden, du musst zur Polizei gehen und es ihnen sagen.
    Ich versuchte sie zu überzeugen: Er kann es unmöglich sein, wenn er in Tanger wäre, wüsste ich das, er hätte auf die eine oder andere Weise Kontakt zu mir aufgenommen, und sie beruhigte sich ein wenig.
    Wir machen uns gegenseitig Angst, sagte ich.
    Ich wollte sie nicht noch mehr beunruhigen, deshalb erzählte ich ihr lieber nichts von der rätselhaften Mail, die ich bekommen hatte. Ich wollte, dass Tunis perfekt war, magisch, so wie Tanger sechs Wochen zuvor magisch gewesen war; ich wollte für sie da sein, ihr bei ihrem Lehrgang helfen, ihr stundenlang von arabischer Grammatik und Literatur erzählen, häufig mit ihr bumsen, so häufig wie möglich, und sehen, was aus der Revolution geworden war.
    Nichts weniger.
    Judit holte mich vom Flughafen ab; die tunesischen Zollbeamten glichen den marokkanischen Zöllnern, grau und plump; sie schnauzten mich an, weil ich die Landekarte nicht ausgefüllt hatte, von der ich gar nicht wusste, dass es sie gibt, aber sie waren nachsichtig und ließen mich durch, ohne dass ich noch einmal hätte Schlange stehen müssen.
    Judit erwartete mich am Ausgang, ich zögerte eine Sekunde, ob ich sie in die Arme schließen sollte – schließlich befanden wir uns auf dem Flughafen eines revolutionären Landes. Ich stellte meinen kleinen Koffer ab, nahm Judit an der Taille, sie schlang ihre Arme um meinen Hals, und wir küssten uns, bis wiederum sie diesem Überschwang, ein wenig beschämt, ein Ende machte.
    Ich hatte zum ersten Mal ein Flugzeug bestiegen, und zum ersten Mal war ich im Ausland. Judit redete viel und sehr schnell, sie erzählte von Tunis, ihrem Lehrgang, von der Stadt, ihrer Unterkunft und ihren Kollegen; ich betrachtete sie, ihr langes, von der Sonne aufgehelltes Haar, ihre feinen, scharfen Gesichtszüge, die entschiedene Rundung über ihren Backenknochen; ihre Lippen, die von all den Klängen, die aus ihrem Mund kamen, nicht stillhielten.
    Die Nacht brach an.
    Judit hatte beschlossen, mir ein Taxi in die Stadt zu spendieren; zu unserer Linken sah man die Lagune, den See von Tunis; im Westen war der Himmel noch ein wenig rot.
    Sie bewohnte ein winziges, recht hübsches Appartement zehn Minuten vom Institut entfernt, an dem ihr Unterricht stattfand; die zwei weißen Zimmer im Erdgeschoss, an der seitlichen Front eines Hauses, gingen auf einen gleichfalls weißen Innenhof mit blauen Bodenkacheln hinaus: ein Schlafzimmer mit einer großen Matratze auf dem Boden und einem kleinen Schreibtisch und ein Raum, der Küche, Wohnzimmer, Esszimmer in einem war; alles zusammen dürfte nicht mehr als dreißig Quadratmeter groß gewesen sein, aber die

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