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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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abgebildet war, ich hätte Judit gerne einen Link übers Internet geschickt, aber natürlich hatten wir keine Verbindung. Ich schickte ihr eine SMS , um sie vorzuwarnen, sie antwortete fast postwendend: Das ist ja ein Ding! Unglaublich! Halte mich auf dem Laufenden!
    Ich malte mir aus, sie käme mich mit dem Bus besuchen, immerhin konnte sie den Zollbereich ohne Schwierigkeit betreten. Ich träumte, ich wäre der letzte Seemann auf der Ibn Battuta , wir hätten das Schiff für uns allein, ich hätte die schönste Kabine hergerichtet und wir hätten traumhafte Ferien darin verbracht, eine großartige Kreuzfahrt, ohne abzulegen, mit Blick auf die Container bei ihrem Tanz unter den Kränen und dem Hin und Her des Umschlags.
    Allerdings standen ungefähr dreißig Seeleute zwischen mir und meinen Träumen. Ich wusste nicht, wie ich es dem Kapitän oder Saadi hätte sagen sollen, etwa so: »Ich brauche eine Doppelkabine, ich habe meine Freundin eingeladen, ein paar Tage zu uns zu kommen«, als wäre unsere Fähre ein Ferienhaus. Wir erhielten Besuch – hauptsächlich von Journalisten oder Dockarbeitern –, aber natürlich blieb niemand über Nacht.
    Die Zeit verging sehr langsam. Morgens ging ich ein wenig im Hafen, in der Freizone, spazieren; ich grüßte die Spanier, die dort arbeiteten, häufig spendierten sie mir einen Kaffee, und dann plauderten wir fünf Minuten; bei dieser Gelegenheit erkundigten sie sich, ob es Neuigkeiten gebe, und ich erwiderte unabänderlich, es gebe im Augenblick nichts Neues. Sie sagten, qué locura , wie blöd, sie könnten dir wenigstens ein Visum geben, damit du dir in der Stadt die Füße vertreten kannst, und ich antwortete stets oh, ja, no estaría mal , in der unwahrscheinlichen Hoffnung, dass einer von ihnen eines Tages die Initiative ergreifen und mit den Beamten von der Policía nacional verhandeln würde. Sollen sie euch doch Orangen von euch drüben schicken, jetzt ist die Jahreszeit, sagte einer, der gerade einen Frachter mit Zitrusfrüchten entladen hatte, und er lachte, was ihm sogleich ein anderer ankreidete, der solidarischer war und sagte, das ist nicht komisch, versetz dich doch mal in ihre Lage, wenn du im Hafen von Tanger festsäßest, das wäre echt nicht komisch.
    Nach dem Kaffee setzte ich meine Runde in den Docks fort, ich registrierte die Schiffsbewegungen, für alles gab es Frachter und je nach Fracht in ganz unterschiedlicher Form; Geflügelschiffe, die Tausende gackernder Hühner in Käfigen transportierten; mit Bananen und Ananas beladene Frachter, die so stark rochen, dass man das Gefühl hatte, den Kopf in Saft zu tauchen; Kühlschiffe, die voll beladen waren mit Gefrierprodukten in Spezialcontainern; riesige Schuten, die mit Eisenbahnschienen, Sand oder Beton beladen waren; Getreidefrachter wie schwimmende Silos und moderne Containerschiffe, die reinsten Wohnblocks, zehn Stockwerke hoch und bunt bemalt. Manche kamen von sehr weit her via Sues oder über den Atlantik, andere aus Marseille, Le Havre oder Nordeuropa; selten legten sie länger als für ein paar Stunden an. Manche waren neu oder frisch gestrichen, andere schleppten zusätzlich zu ihrer Ladung tonnenweise Rost mit sich herum, und man fragte sich, durch welches Wunder sie nicht bei der ersten Welle auseinanderbrachen.
    Dann kehrte ich zur Ibn Battuta zurück, immer gab es irgendeine mühselige Arbeit zu tun, sauber machen, Brücke wischen, Wäsche waschen, Kartoffeln schälen; wir strichen zwar noch nicht den Schiffsrumpf, wie der Kapitän angekündigt hatte, aber wir langweilten uns dermaßen, dass wir, glaube ich, tatsächlich damit angefangen hätten, wenn uns eine gute Seele Farbe besorgt hätte. Ich entdeckte das Leben an Bord – oder vielmehr am Kai.
    Schaben sind die Plage der Seefahrt. Das Schiff gehört eigentlichen ihnen. Sie sind überall, zu Tausenden, auf allen Etagen; nachts kriechen sie hervor, so viele, dass man besser nicht um drei Uhr früh aufwacht und Licht anknipst: Sofort entdeckt man drei oder vier, eine oder zwei auf der Bettdecke, eine an der Wand und eine seelenruhig auf der Stirn des Zimmergenossen in der Koje gegenüber, und man kann sich vorstellen, dass sie es ebenso bei einem selbst machen, sobald man schläft, dass sie sachte auf den geschlossenen Augenlidern herumspazieren, was mich anfangs so entsetzte, dass ich mich vor Grauen schüttelte – letzten Endes gewöhnt man sich aber daran. Die Schaben kommen von den Unterdecks, aus der Wärme der Maschinenräume; dort

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