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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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sind sie am zahlreichsten, und die Dieselmaschinisten leben mit ihnen. Keine Ahnung, wovon sie sich ernähren, ich nehme an, sie bedienen sich bei unseren Vorräten und fressen von unseren Tellern. Jeder Versuch, sie auszurotten, scheint zum Scheitern verurteilt zu sein: Sobald ein Schiff von Schaben befallen ist, ist der Kampf verloren, man kann nichts mehr tun. Wie sehr wir auch die Brücke und die Gänge mit Desinfektionsmittel scheuerten und Fallen in unseren Kabinen aufstellten, sie erschienen immer wieder. Saadi erzählte mir, dass man sie zähmen könne, ein bisschen wie Vögel. Er gestand mir, dass er früher nachts auf seinem Frachter, während der langen Stunden seiner Schiffswache, mit ihnen gesprochen hat.
    Saadi hatte mich sozusagen adoptiert: Wir teilten eine Kabine, und in der endlosen Langeweile der Abende an Bord tat seine Gesellschaft Wunder. Er war Dieselmaschinist; er hegte und pflegte die beiden Crossley-Motoren des Schiffs. Ihm zuzuhören war, wie ein endlos langes Buch zu wälzen, von dem man nie genug bekam, weil sein Inhalt breit angelegt war und sich bei jeder Lektüre leicht veränderte. Er erzählte mir von der Südsee, den Inseln unter dem Wind, die, wie er sagte, Gott möge mir verzeihen, das irdische Ebenbild des Paradieses sind – wer sie gesehen hat, behält die Sehnsucht nach ihnen für immer in seinem Herzen und gibt keine Ruhe, bis er dorthin zurückkehrt. Er kannte auch die großen Häfen des Chinesischen Meeres, Hongkong, Macao, Manila. Singapur ist die sauberste Stadt der Welt, Bangkok die lauteste und auch die aufregendste. Er schilderte mir die endlose Kette von Bordellen und Striptease-Bars in Patpong, wo die Amerikaner zu Hunderten hingehen; viele unternehmen die Reise nur deshalb, als gäbe es in den Vereinigten Staaten keine Nutten.
    Er hatte Celebes gesehen, die Insel mit dem Umriss einer Katze, Java und Borneo, das langgestreckte Malaysia und die Straße von Malakka, wo die Schiffe so zahlreich sind, dass sie in der Schlange stehen wie Autos im Stau.
    Er erzählte mir von den Kühen in Bombay, die jeder, der will, auf der Straße melken kann, um die Milch direkt in seine Teetasse zu gießen, und vom Hafen von Karatschi, der gefährlichsten Stadt auf diesem Planeten, wie er meinte, dort würdest du keinen Tag überleben. Es ist das Königreich der Schmuggler, der Drogen und der Waffen. Dort gibt es keinen Zoll. Alles kann mit Whiskyflaschen bezahlt werden. Die Nutten von Karatschi werden so schlecht behandelt, dass sie alle Narben, blaue Flecken und Verbrennungen von Zigaretten haben.
    Saadi war, ich weiß nicht, wie viele Male, durch den Sueskanal gefahren, hatte den Äquator überquert, um Brasilien, Argentinien, Südafrika anzulaufen. Er hatte Stürme erlebt, die so gewaltig waren, dass ein riesiger Frachter in ihnen tanzte wie ein Fischerboot und jeder seekrank wurde, jeder, sogar der Steuermann, der sich hinter einem Eimer um den Hals verschanzte, damit er kotzen konnte, ohne das Steuer loszulassen; er hatte Matrosen sterben sehen, die ins Wasser stürzten und in der unermesslichen wogenden See verschwanden oder die an einem Fieber, einer schlagartigen Schwermut krepierten, weil das Festland nicht rechtzeitig erreicht werden konnte, um sie zu heilen: Dann warf man den Toten in die Fluten, oder man klappte den Leichnam zusammen, damit er in eine Gefriertruhe passte, je nach Gutdünken des Kapitäns; er hatte betrunkene Seeleute erlebt, die nur mit der Flasche in der Hand navigieren konnten, Matrosen, die wegen eines Mädchens oder eines bösen Wortes mit dem Messer aufeinander losgingen, und im Golf von Aden sogar Piraten, die sein Schiff durchkämmten und es wieder aufgaben nach einer regelrechten Schlacht mit einer Fregatte, während die gesamte Mannschaft im Schiffsbauch eingeschlossen war. Aber die Orte, von denen er mit der größten Bewegtheit sprach, waren seltsamerweise Antwerpen, Rotterdam und Hamburg, er liebte die riesigen, geschäftigen, bedeutenden Häfen des Nordens, die zu Großstädten gehörten, wo es allen modernen Komfort gab, U-Bahn, Luxusbordelle, Schaufenster, Supermärkte, Bars jeder Kategorie, wo das Bier billig war und wo man herumspazieren konnte, ohne jeden Augenblick befürchten zu müssen, ein Messer in den Rücken zu bekommen wie in Karatschi.
    Stell dir Docks in einer Länge von mehreren Dutzend Kilometern vor, sagte er, Hafenbecken, die mehr als zwanzig Meter tief sind, wo die größten Schiffe der Welt anlegen können –

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