Straße der Diebe
hatte eine ganze Reihe von Tricks, um durchzuhalten. Da er die ganze Zeit über im Hafen war, kannte er alle Dockarbeiter, alle Typen vom Hafenamt, er spielte Karten mit ihnen, organisierte kleine Schmuggelgeschäfte mit den Schiffen, die den Hafen nur kurz anliefen, mit Zigaretten, Schnaps und sogar Dosen russischen Kaviars, die er an einen Feinkostladen oben in der Stadt weiterverkaufte. Ein gewiefter Junge. Er ging immer ins selbe Bordell und heiratete zuletzt eine kolumbianische Prostituierte – und als wir eines Tages wie üblich in Barcelona anlegten, war das Schiff verschwunden. Es war von einer griechischen Reederei gekauft worden. Der alte Kahn fährt übrigens noch heute, er ist mir vor noch nicht allzu langer Zeit begegnet. Vor seiner Abreise veranstaltete der Typ eine teuflische Fiesta, er lud Dutzende Bekannte in eine verkommene Pinte ein, und sie sorgten für eine einzigartige Sause, glaub mir, eine legendäre Sause, die Freundinnen seiner Ehefrau tanzten halb nackt, zum Schluss waren alle sturzbesoffen – als der Abend zu Ende ging, verkündete er total betrunken, er werde mit seiner Frau nach Bogotá gehen und mit den paar Millionen Peseten, die ihm der Verkauf des Schiffs eingebracht hatte, dort leben; er ließ Verlobte und Kameraden in Odessa sitzen und zog mit seiner schönen Mulattin weit ins Landesinnere nach Amerika.
Böse Zunge behaupteten, er hätte den Plan gehabt, mit dem Zaster ins Schmugglergeschäft einzusteigen.
Später hörte man, dass er mitten auf der Straße in Barranquilla von einer Kugel in den Kopf niedergestreckt worden war, doch die Gerüchte sagten nichts darüber, ob ihn die Rache der Seeleute aus Odessa eingeholt oder ein kolumbianischer Drogenhändler eine Rechnung mit ihm beglichen hatte oder ob er einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.
Sieht man von uns ab, mein Junge, weiß ich von niemandem, der so lange in einem Hafen festsaß wie er.
Das war beruhigend.
Saadis Geschichten hatten immer eine dunkle, tragische Seite, ohne dass es mir gelungen wäre herauszufinden, ob es sich um die dunklere Seite seiner Persönlichkeit handelte oder ob das Seemannsleben tatsächlich diesen fragwürdigen Aspekt einschloss – wir waren gut hundert Seeleute, die, auf vier Fähren verteilt, in Algeciras festsaßen; ich bezweifelte, dass es einem von uns gelingen würde, ohne einen Heller nach Kolumbien oder Venezuela zu entkommen: Die Nachrichten hörten sich nicht gut an; die Schifffahrtsgesellschaft hatte in Spanien, Frankreich und Marokko einen gigantischen Schuldenberg angehäuft; wir würden unseren ausstehenden Lohn bestimmt nie mehr sehen. Nach einem Monat Warten hatten wir jede Hoffnung verloren, wir waren halb tot vor Kälte und Langeweile, und da sich kein Mensch für unseren wirtschaftlichen Schiffbruch zu interessieren schien, kamen wir auf die Idee, uns an die Presse zu wenden, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Die Gewerkschaft der Dockarbeiter unterstützte uns. In den Zeitungen erschienen verschiedene Artikel:
Wie ihre Kollegen in Sète geraten die Seeleute der Comanav-Comarit auch in Algeciras immer wieder in eine kritische Lage. Seit Anfang Januar wird die Fährverbindung Tanger–Algeciras von der Schifffahrtsgesellschaft nicht mehr bedient. In Algeciras festsitzend, erleben die Seeleute, wie sich ihre Lage von Tag zu Tag verschlimmert. Es fehlt an Lebensmitteln und Brennstoff, seit mehreren Monaten keine Gehaltszahlungen, keine Zahlung von Sozialabgaben …
Doch anders als die Seeleute im französischen Hafen wenden sich die Seeleute von Algeciras an die Medien. Mit Unterstützung der Spanier haben sie kürzlich eine Pressekonferenz abgehalten. Sie haben die Schnauze voll und wollen nach Hause. Die meisten dieser Männer haben Frau und Kinder in Marokko zurückgelassen. Letztere leben teilweise unter erbärmlichen Bedingungen.
Gut hundert Seeleute harren so im Hafen von Algeciras aus, wo insgesamt vier Fähren liegen: die Banasa , die Boughaz , die Al-Mansur und die Ibn Battuta , die aufgrund von Zahlungsrückständen im letzten Januar als bewegliche Vermögenswerte beschlagnahmt wurden.
Es hat nichts gebracht. Wir haben nichts erreicht, außer dass uns die Frau des Konsuls einmal mehr besuchte.
Was mich am meisten zum Verzweifeln brachte, war das Fehlen einer Internetverbindung. Meinen Computer hatte ich in Tanger, in meinem Zimmer gelassen; es gab ein »Sprechzimmer« im Hafen mit Telefonzellen und zwei Computern, aber
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