Straße der Diebe
meinem Mitbewohner. Mounir war einer der Flüchtlinge von Lampedusa, einer jener Tunesier, die während der Revolution dank der Großzügigkeit von Berlusconi und zur großen Entrüstung von Frankreich, das bereit war, alles zu teilen, außer die Schulden und die Bedürftigen, in Frankreich landeten. Mounir hatte einige Monate in Paris gelebt, nun ja, Paris, das sagt sich so leicht, eher in einem Vorort, versteckt auf einem Brachgelände neben einem Kanal, wo er vor Kälte und Hunger fast umgekommen wäre. Von den Franzosen, diesen Dreckskerlen, habe ich nicht das kleinste Sandwich bekommen, verstehst du? Nicht mal ein Sandwich! Ah, sie ist wirklich schön, die Demokratie! Es war unmöglich, Arbeit zu finden, den ganzen Tag rannte man rum, von einer Metrostation zur nächsten, Stalingrad, Belleville, République, wir waren bereit, jeden Job zu machen, nur um zu überleben. Nichts, es war nichts zu machen, dort hilft dir niemand, schon gar nicht die Araber, die glauben, sie seien schon zu viele, ein armer Schlucker mehr schade ihnen allen. Die tunesische Revolution finden sie sehr schön, aber von Weitem, und jetzt, da ihr die Revolution geschafft habt, sagen sie, könnt ihr doch dort bleiben in eurem Jasminparadies mit all den Fundamentalisten, statt uns hier mit euren nutzlosen Mäulern auf der Tasche zu liegen. Soll ich dir was sagen, Lakhdar, mein Bruder, alle diese arabischen Revolutionen sind weiter nichts als amerikanische Machenschaften, um uns noch ein bisschen mehr die Eier zu hobeln.
Was die Franzosen anging, übertrieb er ein wenig: Dank der Restos du Cœur und der Suppenküchen überlebte er, wie er erzählte, wenn man lange genug angestanden hatte, bekam man schließlich einen Teller weiße Bohnen oder ein Paket Nudeln ausgehändigt, ohne dass man Fragen beantworten musste. Das Bild, das er von Paris zeichnete, war nicht verlockend – Heerscharen von Notleidenden, an die man Einzelzelte verteilte, damit sie direkt auf dem Gehweg schliefen, mitten auf den Straßen; endlose Vorstädte, von Gott und den Menschen verlassen, wo alle arbeitslos waren, wo es nichts zu tun gab, außer Autos anzuzünden, um an den Wochenenden ein wenig Unterhaltung zu haben – und vor allem, sagte er, kannst du dir nicht vorstellen, welchen Hass und welche Gewalt man in dieser Stadt spürt. Jeden Tag berichten die Nachrichten von dem wachsenden Hass. Ich sage dir, sie merken es nicht, aber irgendwann fliegt ihnen das alles um die Ohren.
Er trug ein wenig dick auf, klar, trotzdem war es keineswegs ermutigend. Die französische Rechte wollte die Grenzen dichtmachen, sich die Augen mit der Trikolore zubinden und für alles undurchlässig sein, außer für Knete.
Mounir hatte Paris schließlich angewidert den Rücken gekehrt, um weiter im Süden sein Glück zu versuchen – und Marseille, warst du in Marseille? Ich hatte meine Erinnerungen aus den Krimis von Izzo und das Gefühl, Marseille zu kennen. Aber nein, Mounir hatte keinen Zwischenstopp in Marseille gemacht, er hat sich vor dem Bahnhof von Montpellier von zwei Typen die Schnauze polieren lassen, die ihn einfach so, zum Spaß, wie er sagte, angegriffen hatten. Seither gehe ich nicht mehr ohne Messer aus, fügte er hinzu, und das stimmte: Er hatte immer eine zwar kurze, aber scharf geschliffene Klinge dabei.
Ein echtes Glück für Barcelona waren die Touristen, der einzige Grund, warum die Stadt noch eine Stadt und keine Zusammenballung von Ghettos ist, in denen Verheerung und Gewalt herrschten. Ein Segen Gottes. Auf die eine oder andere Weise lebten alle von ihnen. Die Gastwirte lebten von ihnen, die Hoteliers lebten von ihnen, die Cafébetreiber und die Verkäufer von Fußballtrikots, die Metzger lebten von ihnen und sogar die Buchhändler, die ihre Zweigstellen in den Museen hatten, um ihren Anteil von dem rosig gebräunten Goldregen abzuschöpfen, der über dem Zentrum niederging. Die Straßenverkäufer mit ihrem Bierangebot lebten von ihnen, die Verkäufer von Lockpfeifen, Trillerpfeifen, magischen Kreiseln und Blinkies lebten von ihnen – auch Mounir lebte von ihnen. Im Grunde genommen beklauen sie alle die Touristen, sagte er. Alle nehmen sie aus. Auf den Ramblas zahlen sie acht Euro für ein Bier. Ich kann nicht erkennen, was schlimm daran sein soll, wenn man ihnen einen Fotoapparat, eine Geldbörse oder eine Handtasche abnimmt. Weil es Haram ist, darum ist es Diebstahl. Nein, antwortete er, wenn Al-Qaida es erlaubt, Ungläubige umzubringen, verstehe ich nicht,
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