Straße der Diebe
opfern – oder auf dem Balkon sitzen zu bleiben und die Bücher zu lesen, die bis dahin noch nicht verbrannt waren, oder mit Mounir zu seinem Hehler zu gehen, um einen Fotoapparat zu verkaufen, und dann ein Bier oder zwei in einer Bar im Viertel zu trinken und die Polizisten ganz verstohlen zu grüßen, wenn sie einem begegneten.
In jenen Tagen ermordete in Frankreich, in Toulouse, ein Durchgeknallter in einer jüdischen Schule drei Kinder und einen Erwachsenen aus allernächster Nähe mit einer Pistole; einige Tage zuvor hatte er auf dieselbe Weise unbewaffnete Militärangehörige umgelegt; es war unmöglich, irgendeinen Sinn in diesen Schüssen zu finden, die auf der ganzen Welt gehört wurden. Die Geschichte breitete sich über zwei oder drei Seiten in Barcelonas Zeitungen aus. Ein tollwütiger Hund war aufgestanden, hatte getötet, bevor er selbst krepierte, was sollte man schon dazu sagen, außer dass dieser Idiot den Vornamen des Propheten trug und dass er versucht hatte, sich Gott weiß wo am Dschihad zu beteiligen; Mounir fand, dass die Polizisten, die ihn abgeknallt hatten, viel zu milde mit diesem Degenerierten umgegangen seien, dass man ihn auf einem öffentlichen Platz ganz langsam hätte pfählen sollen – oder vielleicht vierteilen wie Damien, den Königsmörder aus Casanovas Memoiren, aber was hätte das geändert? Ich dachte an Bassam, der irgendwo in seinem eigenen Dschihad steckte, nachdem er vielleicht in Tanger einen Studenten mit dem Säbel ermordet hatte, manchmal hilft keine Erklärung; es gibt nichts zu verstehen an der Gewalt, nicht an der Gewalt der Tiere, die durchdrehen vor Angst, nicht am Hass, an der blinden Dummheit, die einen jungen Kerl in meinem Alter dazu treibt, einem kleinen achtjährigen Mädchen in der Schule kaltblütig den Lauf einer Knarre an die Stirn zu setzen und, als die erste Waffe blockiert, mit der erforderlichen Ruhe und Entschlossenheit die Waffe zu wechseln und abzudrücken, nur damit ein paar afghanische Höhlenratten einen respektierten. Mir fielen die Worte Cheikh Nouredines ein, den Zusammenstoß provozieren, Repressalien auslösen, um die Glut auf der Welt anzufachen, die Hunde aufeinanderzuhetzen, allen voran Journalisten und Schriftsteller, die sich darauf stürzen würden, um zu verstehen und zu erklären , als ob es etwas gäbe, das wirklich interessant wäre an den paranoiden Mäandern in den Hirnen dieses Abschaums, die so beschränkt waren, dass nicht einmal Al-Qaida sie bei sich haben wollte.
Mounir glaubte, dass diese Attentate heimlich von der faschistischen extremen Rechten unterstützt wurden, um den Hass, das Misstrauen gegenüber dem Islam anzustacheln als Rechtfertigung für die künftigen Umtriebe rassistischer Schlägertrupps; mir fiel dazu ein Ausdruck von Manchette aus ich weiß nicht mehr welchem Buch ein: die beiden Backen derselben Sauerei .
Was auf uns zukam, schien unendlich dunkel – heute, in meiner Bibliothek, wo die Mauern das Tosen der Welt dämpfen, beobachte ich die Reihe der Katastrophen wie einer, der in einem als sicher geltenden Versteck den Boden beben spürt, die Wände zittern sieht und sich fragt, wie lange er sich noch am Leben halten kann: Draußen scheint alles nur Finsternis zu sein.
No se puede vivir sin amar, genau das sagte ich immer wieder zu Judit, ohne Liebe kann man nicht leben, ich hatte diesen Satz in einem schönen Roman gefunden, in einem verzwickten Krimi; sie sollte sich wieder fangen, wieder Energie, Kraft in sich finden, und ich hatte nur den einen sehnlichen Wunsch, ihr diese Funken zu schenken, dieses Feuer meiner überschäumenden Zärtlichkeit – und ihre Liebe wieder durch Bücher, Gedichte und alltägliche Gesten zu entflammen; ich hatte Meryem sterben lassen, ich wollte nicht, dass Judit in ihrer Finsternis unterging. Als ich eines Tages nach einer Privatstunde mit Elena zusammen die Straßen im Gràcia mit ihren seltsamen Namen hinunterging – Carrer Torrent de l’Olla, Carrer Diluvi, Carrer Perill –, sprach ich mit ihr darüber, und sie stimmte mir zu, sie sah, dass es Judit nicht gut ging, dass sie sich mehr und mehr aus der Gegenwart verabschiedete, sich zurückzog, sich verschloss; sie hatte ihr vorgeschlagen, wieder zusammen eine Reise zu unternehmen, die Karwoche in irgendeinem Land der arabischen Welt zu verbringen, warum nicht in Kairo oder in Jordanien, aber sie hatte keinen Erfolg damit gehabt, Judit erwiderte, sie habe keine Lust, ihre Eltern um Geld zu bitten, ihr Vater
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