Strasse der Sterne
du nicht, wie zittrig Pierre geworden ist?«
Sanft strich Diego über meine Stirn.
»Manchmal ist es, als ob sich etwas Fremdes zwischen uns gestellt hätte. Aber ich habe dich doch mit diesen Händen im Leben willkommen geheißen. Und sie halten dich noch immer, kleine Schwester, und werden dich immer beschützen. Geht es wieder?«
Ich zwang mich zu einem Nicken.
Inzwischen musste die Zeremonie vorüber sein. Aber was sollte ich beim nächsten Mal tun? Jetzt begann mir tatsächlich übel zu werden.
»Versprich mir eines!«, verlangte Diego.
»Was?«
»Dass du nicht nachlässt in deinem Bemühen, solange ich fort bin!« Mühsam rang ich mir ein Nicken ab, aber er war offenbar noch nicht zu Ende. »Lass die Versuchung nicht in dein Herz dringen! Denn sollte das geschehen, müsste ich mich für immer von dir abwenden. Was für mich der Tod wäre.« Seine Mundwinkel zuckten. »Aber auch für dich.«
Regensburg, Januar 1246
Am Abend vor Epiphanie herrschte klirrende Kälte. Bäche und Kanäle waren zugefroren und die Fluten der Donau so eisig, dass kein Schiffbrüchiger hätte überleben können. Brennholz war schier unbezahlbar. Viele kramten heraus, was immer sie auftreiben konnten, polsterten Stroh- oder Wollsäcke mit alten Kleidern aus und schlüpften zu mehreren unter Felle und dicke Decken.
Im Haus an der Wahlenstraße brannten in allen Kaminen und Holzöfen Feuer. Sogar im Gesindetrakt lagen die Schlafstuben über einem gesonderten Herdraum, der durch Bodenritzen heiße Luft nach oben abgab. Trotzdem fröstelte Balbina, als sie die Räucherpfanne mit frischer Glut füllte. Sie rieb getrockneten Salbei darüber, einige aufgesparte Borsten des geweihten Palmbesens sowie Myrrhe und Weihrauch. Zum Schluss griff sie in ihr eigenes Säckchen.
»Wir sollten nicht länger warten«, sagte sie mit einem unwirschen Blick auf Magda, die ausgerechnet heute neuen Flachs auf den Rocken gewickelt hatte. Dabei wusste doch jeder, dass Spinnen, Weben oder Waschen in den Raunächten Unheil über das Haus und seine Bewohner brachte. »Die Kerzen brennen schon. Dann ist Frau Bercht nicht mehr weit.«
Vor der Tür standen Brot und Salz bereit sowie ein Rahmtopf für die Herrin der Nacht, die nach Anbruch der Dunkelheit mit ihrem gehörnten Gefolge durch die Straßen zog. Jeder ersehnte und fürchtete sie gleichermaßen. Denn man glaubte, dass sie ebenso Unglück aus dem Haus kehren konnte wie kommendes Unheil prophezeien.
Pilar sog das Aroma ein, das der Pfanne entströmte.
»Wie gut das tut! Es riecht ein bisschen anders als sonst. Wacholder und etwas Fichtenharz - kann das sein?«
»Stimmt genau«, sagte Balbina überrascht. »Und eine Prise Beifuß. Gehen wir?«
»Eigentlich darf Papa nicht dabei fehlen. Er hat es immer so gern, wenn das Haus vom Speicher bis zum Keller nach Rauchwerk duftet.«
»Dann hätte Heinrich eben beizeiten zurück sein müssen!« Magda klang ärgerlich, als sie plötzlich vom Spinnrad aufstand. »Balbina hat Recht - höchste Zeit, dass wir endlich beginnen!«
Sie trank den kleinen Krug leer, der halb versteckt in einer Wandnische stand, und verzog angewidert das Gesicht. Den Bodensatz schüttete sie weg, als Balbina in die andere Richtung schaute. Das Gebräu hatte bislang noch keinerlei Wirkung gezeigt. Sie würde die Prozedur wiederholen müssen.
»Die Pfanne ist sehr schwer«, sagte Tariq, der sich wie immer im Hintergrund gehalten hatte. »Soll ich sie tragen?«
»Das ist Aufgabe eines Christenmenschen«, versetzte Magda ruppig, bevor die Dienerin antworten konnte. »Wer die Geburt des Herrn leugnet, hat auch kein Recht auf das Räucherwerk vor Dreikönig.«
»Allah ist groß und Jesus einer seiner Propheten«, sagte Tariq gelassen.
»Spar dir dein gotteslästerliches Gerede! Schließlich halte ich auch den Mund, wenn du dich fünfmal am Tag wie ein Wurm am Boden krümmst, anstatt deine Arbeit zu tun!« Sie schritt so energisch voraus, dass die anderen ihr kaum nachkamen.
Tariq schloss sich den Frauen an.
»Und der Turm?«, rief Pilar, als Magda an der Verbindungstür im ersten Stock vorbeilief.
Der bleibt, wie er ist, dachte Magda, und ging schnell weiter. Dort hat sich der böse Geist deiner Mutter eingenistet. Gegen den können kein Salbei und kein Weihrauch dieser Welt etwas ausrichten.
»Den Turm segnet Pater Rabanus morgen mit Weihwasser«, sagte sie laut. »Du weißt doch, wie eigen er sein kann. Wo bleibt ihr denn?« Ihre Brüste spannten. All die Jahre
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