Strasse der Sterne
Brauen wölbten sich zur Mitte hin, wo sie sich berührten. Es heißt, Menschen mit diesem Merkmal neigten besonders zur Eifersucht. Jedenfalls gehörte Diego zu den besitzergreifendsten Menschen, denen ich jemals begegnet war.
Ich senkte den Kopf. Was immer jetzt auch kommen würde - ich wusste jetzt schon, dass ich es hassen würde.
»Während meiner Abwesenheit wird Sancha bei uns wohnen. Dann hast du eine Vertraute in deiner Nähe, die dich in allem beraten kann.«
Ausgerechnet Sancha! Eine hagere Witwe mit hängenden Lidern, die ihr etwas Eidechsenhaftes gaben, gepaart mit einem hungrigen Mund, der genau das Gegenteil sagte. Als eine der Eifrigsten in der Gemeinde stellte sie ihre Frömmigkeit bei jeder Gelegenheit unter Beweis. Vielleicht misstraute ich ihr gerade deswegen. Denn ein untrügliches Gefühl sagte mir, dass es sich in Wirklichkeit ganz anders verhielt. Sie betete Diego an. Wäre unter den Reinen das Sakrament der Ehe nicht verpönt gewesen, sie hätte alles getan, um so schnell wie möglich Señora de Alvar zu werden.
»Ich komme eigentlich ganz gut zurecht«, erwiderte ich. »Schließlich bin ich kein Kind mehr. Und du verreist ja nicht zum ersten Mal.«
Seine Züge wurden zu Granit.
«Mir scheint, du verkennst die Macht des Teufels. Satan hat diese Welt geschaffen. Und keiner von uns kann sicher sein, seinen Versuchungen zu entgehen.« Sein Ton wurde milder. »Ich meine es doch nur gut mit dir, Blanca! Sancha wird dir helfen, dich vorzubereiten. Ich fühle mich jedenfalls sicherer, wenn ich sie in deiner Nähe weiß.«
»Wann bist du wieder zurück?« Es schien mir klüger, das Thema zu wechseln. Er konnte ja nicht wissen, wie viel für Oswald und mich von seiner Antwort abhing.
»Rechtzeitig. Und, wie du weißt, nicht allein. Ich erwarte von dir, dass alles für die Ankunft unseres Gastes bereit sein wird. Denn dann schlägt endlich unsere große Stunde! Ich kann es kaum noch erwarten.«
»Ich auch nicht«, sagte ich rasch. Ich sehnte mich nach Oswalds Ring, den ich in meinem Kästchen versteckt hatte. Ich trug ihn jede Nacht. Und es tat mir weh, wenn ich ihn abziehen musste, um uns nicht zu verraten.
Er war neben mir, bevor ich mich wehren konnte, und griff nach meinem Kinn, sodass ich seinem Blick nicht länger ausweichen konnte. Mir waren seine Hände vertraut, die zärtlich sein konnten und roh. Ich hatte gesehen, wie er als Halbwüchsiger Ameisen zerquetschte und Fröschen die Beine ausriss, wie er neugeborene Welpen im Fluss versenkte, scheinbar regungslos, während ich ihn unter Tränen beschwor, es nicht zu tun. Eine einzige Hündin war seinem Wüten entgangen. Vielleicht hatte ich sie deshalb Rena genannt - weil sie mehr als ein Leben haben musste, um das zu überstehen.
Heute freilich wollte Diego nichts mehr davon wissen. Den Reinen galten Tierseelen als heilig. Meinem Bruder lag daran, fromm, beherrscht und mitfühlend zu wirken, aber ich ließ mich nicht davon täuschen. Rena übrigens ebenso wenig. Sie verkroch sich, sobald sie ihn zu Gesicht bekam. Wir wussten beide, dass etwas Wildes, Unbezähmbares in ihm schlummerte, das jederzeit wieder aufbrechen konnte.
»Du würdest mich doch niemals enttäuschen?«, sagte Diego unvermittelt. »Nicht wahr, meine kleine Blanca?«
«Natürlich nicht.« Erneut begann ich zu frösteln. Was wollte er hören? Ich suchte nach den richtigen Worten. »Du bist doch mein Bruder. Mein einziger.«
*
Wie immer brachen wir erst nach Mitternacht zu unserer Versammlung auf, die wir jedes Mal in einem anderen Haus abhielten, um möglichst keinen Verdacht zu wecken. Die Stadt schlief, während wir Seite an Seite durch die Gassen liefen, Filzlappen um die Schuhe gewickelt, damit wir auf dem holprigen Pflaster keine Geräusche machten.
Sancha öffnete sofort die Tür, als Diego klopfte, und ließ uns herein. Die Aufregung hatte ihr reizloses Gesicht gerötet.
»Ihr seid die Letzten«, sagte sie mit ihrer etwas lispelnden Aussprache. »Jetzt können wir endlich beginnen.« Ich drehte den Kopf schnell zur Seite, als sie Anstalten machte, mich zu küssen. »Blanca! Dich heiße ich besonders herzlich willkommen. Denn schon bald werden wir wie Schwestern miteinander leben.«
Eine Vorstellung, die mir den Hals zuschnürte. Ich murmelte etwas und drängte mich schnell an ihr vorbei.
In dem Raum hatten sich rund zwanzig Männer und Frauen versammelt. Vorn stand der Altar, ein schlichter Holztisch mit einer weißen Spitzendecke und zwei dicken Kerzen.
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