Strasse der Sterne
genug, um sich unter einen Olivenbaum zum Schlafen zu legen. Aber es war nur eine kurze Nachtruhe. Bereits bei Sonnenaufgang wurde sie von einem wütenden Bauern aufgescheucht, der seinen Stock schwang und sie davonjagte.
An diesem Tag verdiente sie so wenig, dass sie ihre gute Laune verlor. Als ein sehniger Mann zu ihr herüberhinkte, war Estrella nicht in der Stimmung für ein Gespräch.
»Du bist gut«, sagte er ohne Umschweife. »Sehr gut sogar. Ich habe dich eine ganze Weile beobachtet. Wir sollten uns zusammentun. Hier allerdings verschwendest du dein Talent.«
»Wer bist du, um das zu beurteilen?«
»Felipe. Und ich weiß, was ich sehe. Wieso ziehst du nicht mit mir weiter?«
»Weil ich genug habe von aufdringlichen Kerlen wie dir. Außerdem will ich nach Norden.«
»Dorthin will ich auch. Ohne einen Beschützer bist du unterwegs aufgeschmissen.«
»Ein Beschützer mit einem lahmen Bein? Wozu sollte das gut sein?«
Er zuckte nicht einmal zusammen. »Besser ein Lahmer als gar keiner. Hast du dir mal meine starken Arme angesehen? Bis jetzt hab ich es noch mit jedem aufgenommen!«
»Was ist dein Preis? Du siehst nicht aus, als würdest du irgendetwas umsonst tun.«
Er lächelte breit.
»Siehst du, das ist es, was ich meine. Eine so schöne Frau wie du sollte es eigentlich nicht nötig haben, so dumme Fragen zu stellen.«
Er verstand sich aufs Kesselflicken, Schmieden, Schleifen. Ein Bastard, den die strengen Handwerksordnungen ausschlossen. Er hatte dennoch die Augen offen gehalten und jede Menge gelernt. Wenn er keine Arbeit fand, bettelte er, aber eigentlich packte er viel lieber mit an.
»Metall hat mich schon als Kind fasziniert«, sagte er, als sie schon ein paar Tage unterwegs waren. »Es muss erst ganz weich werden, bevor es schließlich zu Stahl gehärtet wird. Ähnlich wie die Frauen. Eine Frau, die nicht schmelzen kann, taugt nichts.«
Estrella schwieg. Vor zwei Nächten hatte er ihr bedeutet, zu ihm zu kommen, gelassen, fast gleichgültig, als sei es sein gutes Recht. Er war nicht ihr erster Mann, aber mit so viel Selbstbewusstsein wie Felipe hatte noch keiner sie in Besitz genommen. Sie ließ es geschehen, weil es ihr unvermeidlich erschien, machte jedoch keinen Hehl daraus, wie wenig ihr der Beischlaf mit ihm bedeutete.
Ihn schien ihre Gleichgültigkeit zu kränken.
»Du könntest wenigstens so tun, als würdest du mich mögen«, sagte er am anderen Morgen und versuchte sie zu küssen.
»Weshalb?« Sie wandte den Kopf ab, damit beschäftigt, sich den Staub aus den Röcken zu schütteln. Je länger sie unterwegs waren, desto schwieriger erwies es sich, auf das
Äußere zu achten, von dem doch so viel abhing. »Wo wir doch beide wissen, wie es zwischen uns bestellt ist.«
»Immerhin bin ich dein Beschützer.«
»Immerhin nimmst du mir meine Silberstücke ab. Und das nicht zu knapp.«
»Was beklagst du dich? Ohne mich würdest du in dieser Einöde verrecken.«
Estrella schwieg, weil er Recht hatte. Kastilien war ein weites, dünn besiedeltes Land. Es konnte Stunden, manchmal sogar Tage dauern, bis sie zur nächsten Siedlung gelangten, und die Leute dort verlangten nach allem anderen als ihrer Zukunftsdeutung. Manche starrten sie an, als sei sie eine Abgesandte des Leibhaftigen, wenn sie ihre Karten auspackte; andere schlugen das Kreuz und verzogen sich in ihre armseligen Behausungen. Hätte es Felipe nicht gegeben, der bei den Bauern reparierte, was nötig war, sie hätte an vielen Abenden nichts zu essen gehabt. Anschließend forderte er sein Recht bei ihr ein, stur und ausdauernd, und kümmerte sich nicht um ihren Unmut.
Sie fing an, sich an ihn zu gewöhnen. Manchmal konnte sie mit ihm lachen. Außerdem verstand er es, die Sterne zu lesen. Und er war ein Zeichenkundiger, der stets den richtigen Weg fand.
Trotzdem wuchs der Ärger zwischen ihnen.
Eines Abends hatte sie die endlosen Ebenen und sanft geschwungenen Hügel satt. Felipe zeichnete eine provisorische Karte in den Staub.
»Dort drüben liegt Cuenca«, sagte er. »Und dort, ein Stück weiter links, Toledo. Das ist unser Ziel. Dort sind geschickte Metallarbeiter wie ich gesucht. Und es gibt so viel zu tun, dass ihnen die Zeit fehlt, über Bastarde und ehelich Geborene nachzusinnen. Wenn du also willst, können wir uns dort niederlassen. Dann ist für mich Schluss mit Betteln, und du musst keine Bauern mehr belügen.«
»Was soll ich in Toledo?«, maulte Estrella. »Ich will nach Madrid. Und weiter nach Logrono. Von
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