Straße in die Hölle
schlug mit ihr einige Mücken tot, die sich auf seinen schweißnassen Armen niedergelassen hatten. Seine Ärmel waren hochgerollt, die leichte Jacke stand auf der Brust halb offen. Bis auf die Stiefel und sein europäisches Gesicht sah er nicht anders aus als die Arbeiter.
»Sie kommen gerade richtig, Senhor Carlos«, sagte Luis Jesus Areras, als Gebbhardt ins Zimmer kam und die Tür mit Schwung hinter sich ins Schloß warf. »Wenn Sie sich beschweren wollen, weil vorne an der Front keine Soldaten sind … fragen Sie Ihren Liebling Paulo Alegre. Er hetzt die Arbeiter auf zum Streik!«
»Ich habe es satt, Areras, mir Ihre dummen Bemerkungen anzuhören.« Er warf einen Blick auf die durchgeladene Maschinenpistole auf dem Schreibtisch und schleuderte sie mit einer Handbewegung auf die rohgehobelten Dielen. Areras machte einen Sprung zur Seite. Es war ein Wunder, daß die Waffe nicht losratterte. »Und außerdem verbitte ich mir, daß auf meinem Schreibtisch geladene Waffen liegen! Was machen Sie überhaupt in meinem Haus? Warum sind Sie nicht in Ihrer Bauführer-Baracke?«
Areras lächelte schief. Seine Augen funkelten wütend. »Waren Sie mal da, Senhor Carlos? Sie haben dort alles kurz und klein geschlagen!«
»Ohne Sie? Wieso können Sie noch stehen?« Karl Gebbhardt setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
»Ich war nicht da«, erwiderte Areras haßerfüllt.
»Und wo waren Sie? Bei Rosalie im Bordell?«
»Ich hatte eine Besprechung mit den Vorarbeitern, als der Demonstrationszug kam. Aber ich war gewarnt. Per Funk hatte man mir schon mitgeteilt, was dieses Schwein Alegre angestellt hat.« Areras steckte demonstrativ die Hände in die Hosentaschen. Ein Brasilianer ließ sich von keinem Ausländer herumkommandieren! Gut, der Deutsche war Ingenieur, die Regierung hat ihn angestellt und ihm die Leitung des Unternehmens übertragen, aber was wäre er ohne ihn und seine Vorarbeiter? Konnte er etwa den Urwald allein umhauen? Konnte er die Straße durch den Dschungel beißen? Ohne einen Luis Jesus Areras war der Deutsche weniger wert als ein Moskito. Das sollte er endlich begreifen!
»Was wollen Sie tun, Senhor Carlos?« fragte er herausfordernd. »Militär anfordern?«
»Nein.«
»Den Forderungen nachgeben? Das ist völlig unmöglich!«
»Haben die Leute nicht recht?«
»Das habe ich von Ihnen erwartet!« Areras sah sich, Beifall heischend, nach seinen Vorarbeitern um, aber die Männer schwiegen bedrückt. »Sie beugen sich dem Diktat des. Mob? Die Kerle haben noch nie besser gelebt als jetzt. Mehr Geld! Was machen sie denn mit ihren Cruzeiros? Versaufen und verhuren. Wenn wir hier ein fahrbares Hospital brauchen, dann nur, um ihnen jeden Morgen eine Tripperspritze zu geben. Ich weiß, die Arbeit ist schwer.«
»Sie grenzt unter den jetzigen Bedingungen an Mord«, sagte Gebbhardt laut.
»Das bringen Sie mal der Regierung bei. Und Senhor Bolo.«
Trotz aller Reformen wird Brasilien auch heute noch von einigen Familien regiert – heimlich regiert mit ihrem Geld, ihrem Einfluß, ihren Machtansprüchen, ihren Beziehungen und ihrer Unersättlichkeit. Die Politik vor dem Parlament ist nur ein Schauspiel für die Öffentlichkeit. Was hinter den verschlossenen Türen, in den Salons und Bibliotheken, auf den säulengetragenen Terrassen der weißen Luxusvillen und an den Hausbars verhandelt wird, weiß niemand, aber jeder spürt es früher oder später am eigenen Leib. Es ist die Macht des Geldes, die regiert, durch nichts gebrochen, weder durch Revolutionen noch politische Ideen, weder durch die Kirche, noch durch einzelne, herbeigesehnte Reformer. Volkshelden kommen und gehen, aber der Reichtum bleibt. Und selbst der Urwald beugt sich ihm.
Hermano Santos Bolo war einer jener Männer, deren Namen jeder in Brasilien kennt. Supermärkte trugen seinen Namen, die luxuriösesten Hotels gehörten ihm, und wo Hochhäuser gebaut wurden – in Rio oder Brasilia, São Paulo oder Recife –, Bolo hatte seine Finger darin. Ihm gehörten Baufirmen in allen brasilianischen Städten, er kontrollierte den Kaffeemarkt, die Edelholz-Exporte liefen durch seine Büros, die Stadtsanierungen von Rio und São Paulo, die neuen Wohnsilos für die ehemaligen Slumbewohner vermietete er, und es hieß, er sei sogar der Besitzer – über Strohmänner natürlich – unzähliger heimlicher Bordells, die in Brasilien genauso florierten wie in Paris oder Hamburg.
Als man die Straße von Ceres zum Rio Araguaia plante, erfuhr Bolo auch das früh
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