Straße in die Hölle
anderen zuriefen, war vulgär. Wen wunderte es? Sie kamen aus Bolos rollendem Bordell und berichteten lauthals, was sie mit den Weibern erlebt hatten.
Noch zwei Jahre soll das hier so gehen, dachte Gebbhardt. Halte ich das aus? Oder werfe ich bald das Handtuch wie ein zusammengeschlagener Boxer?
Weit davon entfernt war er nicht mehr.
Das fahrbare Hospital hatte endlich die restlichen Kisten bekommen. Dr. Santaluz und zwei Krankenpfleger verglichen die Listen mit der angelieferten Ware: Medikamente, Verbandszeug, Instrumente, ein schmaler Operationstisch, ein Stromgenerator, der ein kleines Röntgengerät speiste, eine Zahnbohrmaschine, Sterilkocher, Wäsche. Es war alles da, nur keine guten, festen Zelte, keine Betten für die Schwerkranken und Verletzten, auch die dringend erforderlichen hygienischen Hilfsmittel fehlten. Irgendein Sprecher der ›Gesellschaft zur Erschließung Brasiliens‹ hatte es Dr. Santaluz am Telefon unverblümt gesagt: »Verlangen Sie im Urwald keine Universitätsklinik, doutôr . Es genügt, daß Sie überhaupt behandeln können. Die Kerle sind es gewöhnt, auf der Erde zu liegen und hinter Bäume zu scheißen. Außerdem: Je besser der Arzt, um so zahlreicher die Krankmeldungen. Wir kennen das. Die Burschen, die da draußen den Urwald roden, sind doch nicht mit unseren städtischen Maßen zu messen.«
»Morgen fahren wir los«, sagte Dr. Santaluz am Abend, nachdem die Listen der Bestände fertig waren. Er saß im Bauleitungskasino von Ceres und trank einen leichten Rotwein. Ihm gegenüber saß Norina Samasina. Sie schrieb einen Brief.
Norina Samasina … Gebbhardts Befürchtungen wurden noch übertroffen. Sie war noch schöner als ihr Name. Wenn der Duft betörender Blüten Gestalt annehmen könnte, hätte die Natur ein Mädchen wie Norina daraus geschaffen. Als Dr. Santaluz ihr vorgestellt worden war, hatte er sofort gesagt: »Sie wollen in die Grüne Hölle? Um Gottes willen, Senhora – machen Sie sofort kehrt und flüchten Sie! Das wäre heller Wahnsinn, Sie unter die Horde von zweitausend Männern zu schicken!«
Und sie hatte gleichgültig geantwortet: »Was wollen Sie, doutôr , ich gehe doch freiwillig. Niemand zwingt mich. Ich freue mich auf die Arbeit.«
»Sie werden stets mit zwei geladenen Revolvern herumgehen müssen«, hatte Santaluz heftig erwidert.
Und sie hatte erklärt – diesmal sogar mit einem bezaubernden Lächeln: »Wozu? Eine Injektionsspritze genügt doch …«
Über Dr. Stefano Santaluz wußte man in Rio de Janeiro und Brasilia sehr wenig. Er war einer jener jungen Ärzte, die echte Idealisten waren, die glaubten, man könne die Welt verändern durch Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Sozialismus. Empfohlen war er von dem Priester Pietro de Sete, einem jungen Geistlichen, der nur bei kirchlichen Amtshandlungen seine Soutane oder den Chorrock anzog, sonst aber, schmutzig wie die Armen, unter denen er lebte und die ihn bis zur Selbstaufopferung liebten, in alten Anzügen und offenen Hemden herumlief. Von Pater de Sete wußte man allerdings, daß er – im Gegensatz zu seiner Kirchenleitung – ein Christentum predigte, das nicht Duldung und Stille hieß, sondern Auflehnung gegen Not und Elend, Ausbeutung und Unterdrückung.
De Sete hatte Dr. Santaluz empfohlen, und wo gab es schon Ärzte, die so verrückt waren, sich freiwillig in den unbekannten Urwald zu begeben, um zu knapp zweitausend wilden Gesellen aller Rassen und Farbtöne einen Hauch von medizinischer Betreuung zu tragen? Im Staatlichen Gesundheitsamt sowie beim Bauamt und erst recht im Zentralbüro von Senhor Bolo war man froh, in Dr. Santaluz einen Dummen für diese teuflische Arbeit gefunden zu haben.
Niemand ahnte, wen man da in die Grüne Hölle schickte. Alle maßgeblichen Stellen drückten Santaluz die Hände, wünschten ihm viel Glück zum Überleben, akzeptierten einen erhöhten Lohn, gewissermaßen eine Gefahrenzulage, und schüttelten nur die Köpfe, als er die Amtsstuben wieder verlassen hatte.
Die Krankenpfleger, die Santaluz aussuchte, waren große, bärenstarke Burschen. Außer ihrem Examen hatten sie auch noch schießen gelernt, und jeder einzelne war Spezialist auf einem bestimmten Gebiet: Der eine war Funktechniker, der andere Sprengstoffexperte, der dritte Drucker. Auch das wußte niemand, wie es auch den amtlichen Stellen unbekannt war, daß sich im Gepäck des Hospitals eine transportable Druckerei befand.
Das Auftauchen von Norina Samasina machte Dr. Santaluz Sorgen.
Norina
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