Straße in die Hölle
Deutsche!« Areras schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wo ist er überhaupt? Demonstriert er mit? Rejos, notiere, wieviel Stunden Ausfall wir jetzt haben. Sie bekommen es abgezogen, so wahr ich den Hintern hinten habe!«
Die Situation war kritisch, das wußte auch Areras. Er gab sich nicht der Illusion hin, die Lage mit kraftvollen Worten meistern zu können. Was hier in der einsamen Tiefe des Urwaldes von Brasilien geschah, war schon längst fällig gewesen, nur hatte bisher niemand die Gefahr ernst genommen.
Seit einem Jahr bauten sie an der Straße. Eine höllische Straße, wie sie noch nie durch eine Wildnis geschlagen worden war. Selbst die Straßen in Sibirien, so sagte der deutsche Ingenieur Karl Gebbhardt, seien trotz der vielen Toten noch eine Sonntagsarbeit gewesen gegen das, was hier zwischen Brasilia und dem breiten Urwaldstrom, dem Rio Araguaia, geschah.
Zwar gab es die Straße schon von der Hauptstadt bis zur Urwaldsiedlung Ceres, und auch von Ceres in den ewigen, unbesiegbaren Wald hinein existierten einige Kilometer, von denen man sagen konnte: Hier kann es ein Mensch aushalten. Aber dann, liebe Freunde, dann begann wirklich die Hölle auf Erden.
Ein Wald aus Riesenbäumen und Linanengerank, aus verfilzten Farnen und einer grünen Mauer von zusammengewachsenen Büschen. Ein Gewirr von kleinen Flüssen, die alle immer wieder ineinanderflossen und sich trennten. Zwischen ihnen war der Boden sumpfig und schwammig. Ein Dschungel, den noch nie ein Mensch betreten hatte und den auch die Geologen und Vermessungstechniker, die Bauzeichner und Ingenieure, die staatlichen Kommissare und Beamten nur überflogen hatten, weil es nirgends einen Platz gab, auf dem ein Flugzeug landen konnte. Aber trotzdem hatten sie auf den großen Karten, die sie nach Fotos zeichnen ließen, zwei dicke rote Striche nebeneinander gezogen und gesagt: »Das ist die Straße! Von Ceres bis zum Rio Araguaia. Hier wird gebaut, und so wird sie gebaut! Keinen Meter anders. Geradeaus! Wozu haben wir Maschinen, die Bäume fällen und wegschleifen? Wozu haben wir Bagger und Räumer, Lastwagen und Sprengstoff, Pumpen und Betonmaschinen? Und vor allem: Wozu haben wir Menschen? Genug Menschen! Menschen, die hungern und die glücklich sein werden, wenn sie sich ein paar Cruzeiros verdienen können? Menschen, die noch nie so komfortabel gewohnt haben wie in unseren Bauarbeiterhütten. Mit diesen Menschen und unseren Maschinen besiegen wir diesen unendlichen, unerforschten, feindlichen, höllischen Wald.«
Man brauchte diese Straße. Der Urwald war reich, so reich, daß Brasilien sich eines Tages unabhängig machen konnte von den Almosen anderer Völker. In der unerforschten Tiefe der Grünen Hölle lagen unerschöpfliche Vorräte an Edelhölzern, vor allem Mahagoni. Dort gab es echten Kautschuk, dort verbargen sich, nach geologischen Gutachten, riesige Edelsteinminen, und die Samen der Orchideen, die dort überall wucherten, wurden mit Gold aufgewogen.
Die Straße! Sie war Alptraum und Zukunft in einem. Eine neue Lebensader war sie, durch die das kräftige, unverbrauchte Blut des Urwaldes floß und dem morschen Körper Brasilien neues Leben schenkte. Die Straße! Quer durch einen Erdteil führte sie, der große Traum: Von Rio de Janeiro bis zum Amazonas … das größte Projekt der Menschheit.
Niemand würde später erwähnen, daß dieses Meisterwerk der Technik mit Blut und Tränen erkauft war. Man würde nur das breite Band der Straße sehen und nicht die Gräber, die rechts und links im ewig undurchdringlichen, verfilzten Urwald lagen.
»Da kommt er ja!« sagte Areras und deutete mit einer Kopfbewegung zum Fenster hinaus.
Ein mit Lehm bespritzter Landrover brauste heran und bremste scharf vor der Bauleiterbaracke. Lehmbrocken wirbelten durch die heiße Luft und trafen die Demonstranten, aber sie schrien und fluchten nicht, sondern klatschten in die Hände, und ihre verzerrten Gesichter glätteten sich.
»Da sieht man, wie er zu ihnen steht!« sagte Areras böse. »Sie betrachten ihn als ihren Kumpan! Mal sehen, was er dazu zu sagen hat!«
Aus dem Wagen sprang ein großer schlanker Mann in einem schmutzigen, an den Knien zerrissenen Tropenanzug und halbhohen braunen Schnürstiefeln. Auf dem Kopf mit dem langen blonden Haar trug er eine olivgrüne Kappe, wie sie auch die meisten Arbeiter hatten, mit einem langen Stirnschild als Schutz gegen die senkrecht stehende Sonne. Er riß sie vom Kopf, als er zur Tür der Baracke ging, und
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