Straße in die Hölle
Kranken und Verletzten kümmert.«
»Übermorgen trifft das fahrbare Lazarett ein.« Areras griff in die Tasche und holte eine Notiz heraus. »Ich habe eine verbindliche Funkmeldung erhalten. Ein Dr. Stefano Santaluz, drei Krankenpfleger und eine medizinische Assistentin mit Namen Norina Samasina befinden sich bereits in Ceres. Es fehlen nur noch einige Kisten, die von Brasilien nachkommen. Außerdem kommen vier neue Huren mit und –«
»Das ist aber wichtig!« sagte Gebbhardt giftig.
»Und wie wichtig das ist!« Areras grinste breit. Sein Schlägergesicht nahm einen abstoßenden Ausdruck an. »Sie können den Kerlen die Wurst vom Brot nehmen, aber wehe, wenn man ihnen die Weiber verbietet. Das ist es ja, was mich aufregt.« Plötzlich schrie Areras und fuchtelte mit den Armen durch die Luft. »Bei den Weibern lassen sie ihre Kraft, aber nachher, an den Bäumen, fangen sie an zu weinen und fallen um wie leere Säcke. Sie sind zu human, Senhor Carlos. Sie denken immer noch europäisch.«
»Ich denke menschlich«, sagte Gebbhardt laut.
»Auch das erkennt man hier nicht an.« Areras zeigte nach draußen auf die geballte Masse der Demonstranten. »Menschlichkeit! Fragen Sie mal den Anführer dieser Bande, Ihren Schützling Paulo Alegre, was er von Menschlichkeit hält. Wie nennen ihn seine Freunde? Alegre, der Sträfling. Und warum war er im Zuchthaus? Weil er einem Mann, den er gar nicht kannte, die Kehle durchgeschnitten hat. Von einem Ohr zum andern. Es steht in seinen Personalakten, ich kann sie Ihnen geben, Senhor Carlos.«
Gebbhardt erhob sich, schob Areras aus dem Weg und verließ das Zimmer. Reden können sie, dachte er bitter. Viele große Worte. Wasserfälle von Worten. Aber es geschieht nichts. In zwei Tagen soll das fahrbare Hospital kommen. Ein Arzt, eine Assistentin und drei Pfleger. So eine Idiotie! Was sollte denn eine Assistentin hier im Vorhof der Hölle? Eine Frau, die man nicht anfassen durfte, unter zweihundertneununddreißig Männern! Wollte man zweihundertneununddreißig Verrückte eine Schneise in den Wald schlagen lassen? Mörder, die bereit waren, sich gegenseitig umzubringen, wenn einer von ihnen diese Norina Samasina auch nur etwas zu feurig anlächelte?
Norina Samasina. Was für ein Name! Wenn sie auch so hübsch war wie der Klang dieser Worte, dann gnade uns Gott!
Er schüttelte den Kopf und verließ die Baracke. Die Arbeiter drängten näher.
»Was sagt dieses Stinktier von Areras?« rief Paulo Alegre. »Warum verkriecht er sich? Hat er schon die Hosen voll? Er soll rauskommen und gestehen, daß er unseren fehlenden Lohn versäuft und verhurt! Wir sind keine Sklaven!«
»Wir sind keine Sklaven!« riefen die Demonstranten im Chor. Sie hoben drohend die Fäuste zum Himmel, der nach dem mittäglichen Regen wie blankgeputzt war.
Die Sonne glühte, die Erde dampfte und der riesige undurchdringliche Wald strömte eine heiße Dunstwolke aus. Alles, was man auf dem Leib trug, klebte auf der Haut. Dieses Klima laugte jeden aus, auch den, der hier geboren war. Es war der Atem des Dschungels, der sich wie Säure in jeden Körper fraß.
»Alles ist unterwegs, amigos «, sagte Gebbhardt laut. Seine Stimme klang müde. »Verpflegung, Lohn, sogar das Lazarett kommt. Es ist schon in Ceres. Habt noch ein paar Tage Geduld. Geht an eure Arbeit zurück …«
Die Arbeiter standen wie eine Mauer. Mestizen mit gelblich-brauner Haut, tiefschwarze Neger, kupferbraune Indios, Weiße mit dem schmutzigen Grau in der Sonne vertrockneter Leiber. Alegre trat vor. Er hatte breite Schultern, einen mächtigen Brustkasten, Beine wie Säulen und Arme wie Kranbalken. Um das großflächige Gesicht wucherte ein wilder schwarzer Bart.
Ein Mörder, dachte Gebbhardt. Schneidet mit dem Messer eine Kehle durch. Was ist das für ein Mensch, der so etwas tun kann?
»Und wenn Luis Jesus wieder lügt?« fragte Alegre mit tiefer, dröhnender Stimme.
»Ich glaube, er lügt jetzt nicht, Paulo«, erwiderte Gebbhardt.
»Wenn er gelogen hat, ziehen wir ihn über den Bock, wie er's mit uns machen läßt, wenn wir bestraft werden … so wahr es eine Madonna gibt!«
»Wir sind keine Sklaven!« erklang es im Chor. Die Neger schrien am lautesten. Sie wußten, was es hieß, rechtlos zu sein.
»Wartet ab.« Gebbhardt hob beide Hände. »Ich habe einen langen Bericht nach Brasilia geschickt. Es muß hier besser werden.«
Am Abend saß er mit seinen Trupps an den großen Lagerfeuern. Sie brannten nicht, weil die Nächte kühl waren
Weitere Kostenlose Bücher