Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Er hat in unserer Bibliothek einen Bericht über ein Liebespaar gelesen, das während des Bürgerkriegs in einem Haus an der Camp Street Selbstmord begangen hat.«
»Das muss nicht heißen, dass er sich in New Orleans aufhält.«
»Hast du was Besseres zu bieten?«
»Jeder Cop in der Stadt hat ein Fahndungsfoto von dem Kerl. Was sollen wir den sonst noch machen?«
»Hol Jim Gables Personalakte für mich raus.«
»Vergiss es.«
»Warum?«
»Weil wir uns selber um unsere Leute kümmern. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt? Gable geht dich nicht das Geringste an.«
Das meinst du, dachte ich, als ich den Hörer auf die Gabel legte.
Ich machte an diesem Abend Überstunden und fuhr dann in der Dämmerung die Straße am Bayou entlang. Ich nahm den Chrysanthemenduft und eine Art Gasgeruch wahr, den der Wind herantrug, und sah die Leuchtkäfer im Sumpf blinken. Das Haus lag bereits im Schatten, als ich in die Auffahrt stieß, und im Wohnzimmer lief der Fernseher, aus dem Gelächter vom Band drang, eine Beleidigung der Intelligenz des Zuhörers. Ich versuchte nicht an den Abend zu denken, der Bootsie und mir bevorstand, sobald ich das Haus betrat, die Spannung, die in der Luft lag, die Höflichkeitsfloskeln, die unseren beiderseitigen Unmut kaschieren sollten, die körperliche Abneigung und das Schweigen, das lauter war als jeder Schrei.
Ich sah Batist, der auf einem Schlachtertisch, den er beim Bachlauf aufgestellt hatte, Schweineseiten zerhackte. Er hatte sein Hemd ausgezogen und eine graue Schürze umgebunden, und ich sah jedes Mal die Adern an seiner Schulter hervortreten, wenn er mit dem Hackmesser ausholte. Der Himmel hinter ihm war noch immer blau, aber der Abendstern funkelte, und der Mond ging gerade auf, sodass sich sein Kopf wie eine glitzernde Kanonenkugel im Licht abzeichnete.
»Hab heute Mittag fünfunddreißig Essen verkauft. Die Schweinekoteletts sind uns ausgegangen«, sagte er.
In einem Karton neben seinem Fuß lagen der Schweinskopf und die bläulichen Darmschlingen.
»Kommst du klar?«, fragte ich.
»Das Wetter is komisch. Der Wind bläst stramm aus Westen. Ich hab letzte Nacht Sachen im Sumpf leuchten sehn. Meine Frau hat immer gesagt, das war der Loupgarou.«
»Das sind Kugelblitze oder Sumpfgase, die sich entzünden, Partner. Das weißt du doch. Vergiss die Werwölfe.«
»Ich hab heut Morgen meine Langleine ausgelegt. Ein großer Gelber Sumpfwels hat dran gehangen. Als ich ihn aufgeschlitzt hab, hatte er ’ne Schlange im Bauch.«
»Wir sehen uns später«, sagte ich.
»Wenn der Loupgarou kommt, stirbt jemand. Die alten Leute haben früher immer Blut verbrannt, um ihn zurück in die Bäume zu scheuchen.«
»Danke, dass du dich ums Fleisch kümmerst, Batist«, sagte ich und ging ins Haus.
Bootsie saß am Küchentisch, hatte zwei Blatt liniertes Papier in der Hand und las. Sie trug Blue Jeans, Slipper und ein Jeanshemd, dessen Ärmel an der Schulter abgeschnitten waren. Einzelne Haarsträhnen hatten sich aus der Spange gelöst und hingen ihr in den Nacken. Sie hatte die Finger an die Schläfen gepresst, während sie las.
»Stammt das von Remeta?«, sagte ich.
»Nein. Ich war heute bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker. Judy Theriot, meine Mentorin, war auch da. Sie hat gesagt, meine Wut macht mir zu schaffen.«
»Aha?«, sagte ich tonlos.
»Sie hat mich einen Vierten Schritt machen und eine Bestandsaufnahme schreiben lassen. Wenn ich sie jetzt, im Nachhinein lese, möchte ich sie am liebsten zusammenknüllen und wegschmeißen.«
Ich ging zum Kühlschrank, holte den Krug mit Eistee heraus und goss mir an der Spüle ein Glas ein. Ich setzte das Glas an, senkte es wieder und stellte es auf den Ablauf.
»Möchtest du auch eins?«, fragte ich.
»Willst du wissen, was in meiner Bestandsaufnahme steht?«, fragte Bootsie.
»Ich habe ein bisschen Angst davor.«
»In Punkt eins geht es um ungeheure Wut.«
»Das ist verständlich.«
»Halt dich zurück, Streak, bevor ich wieder aus der Haut fahre. Ich musste für Judy eine Liste mit all den Sachen schreiben, die mich an dir ärgern. Sie ist ziemlich lang.«
Ich schaute aus dem Fenster zu Batist, der auf dem Holztisch am Bachlauf Fleisch hackte. Er hatte einen Haufen Laub angezündet, und der Rauch trieb ins Zuckerrohrfeld meines Nachbarn. Ich spürte, wie sich meine Kopfhaut spannte, während ich darauf wartete, dass Bootsie die Liste mit ihren Vorwürfen vorlas, und wollte am liebsten draußen sein, im Wind, dem Geruch
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