Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Griff ihrer Automatik, steckte sie ins Holster und sammelte die ausgeworfenen Hülsen ein.
»Du bist ja heute Morgen schwer auf Zack«, sagte ich.
»Einer muss es ja sein.«
»Wie bitte?«
»Du bist doch völlig daneben. Ich muss alles zwei Mal sagen, damit du was mitkriegst«, sagte sie Kaugummi kauend.
»Wo hast du Passion Labiche gesehen?«
»Hab ich dir doch gesagt. In einem Tattoo- und Wahrsagerschuppen in Lafayette.«
»Warum?«
»Frag sie.«
»Du hast die Sache aufs Tapet gebracht, Helen.«
»Ja. Und ich hab sie auch wieder runtergenommen. Und zwar vor zwei Tagen«, sagte sie.
Ich kehrte ins Büro zurück und rief Dana Magelli vom NOPD an.
»Ich habe eine Spur für dich«, sagte ich.
»Aha. Gehst du gerade all unsere Fälle durch?«, erwiderte er.
»Lass mich ausreden, Dana. Johnny Remeta hat mir erzählt, dass er die Leute erpressen will, die meine Mutter umgebracht haben.«
»Willst du mich verscheißern? Soll das heißen, dass du Kontakt mit einem flüchtigen Straftäter hast, der zwei Polizeibeamte ermordet hat?«
»Ich war am Samstagabend in Maggie Glicks Bar drüben in Algiers. Ich bin dort Jim Gables Chauffeur über den Weg gelaufen, einem gewissen Micah Soundso. Er hat gesagt, dass er demnächst zu Geld kommen wird, weil er denjenigen anzapfen will, der die Kuh melkt.«
»Was?«
»Das waren seine Worte. Meiner Ansicht nach will er damit ausdrücken, dass Remeta Jim Gable erpresst.«
»Willst du etwa behaupten, dass Jim Gable deine Mutter umgebracht hat?«, sagte er.
»Remeta hat Don Ritter dazu gezwungen, ihm die Mörder meiner Mutter zu verraten, bevor er ihn umgebracht hat. Zumindest behauptet er das.«
»Was soll ich denn mit so einer Auskunft anfangen? Ich kann ja selber kaum glauben, dass ich dieses Gespräch führe«, sagte Magelli.
»Lass Micah überwachen.«
»Ich soll drei, vier Mann auf jemand ansetzen, von dem ich nicht mal den Familiennamen weiß? Klingt fast so, als ob sich Purcel da wieder mal irgendwas ausgedacht hat, um uns eins auszuwischen.«
»Ich mein’s ernst, Dana.«
»Nein, du hast dich in was verbohrt. Du bist ein feiner Kerl. Ich mag dich. Aber du bist völlig übergeschnappt. Das ist kein Witz. Lass dich hier in der Stadt nicht blicken.« Am nächsten Tag fuhr ich in die Stadtbibliothek und suchte das Album mit den Fotos aus dem Bürgerkrieg heraus, das sich Johnny Remeta angeschaut hatte, bevor er aus dem Fenster des Leseraums gesprungen war. Ich schlug im Index nach und blätterte dann zu den körnigen Schwarzweißfotos, die am Bloody Angle und bei Dunker Church aufgenommen worden waren.
Die Abbildungen verrieten mir nichts Neues über Remeta. Er war schlicht und einfach ein Todessüchtiger, der den Kopf voller Glasscherben hatte und einen historischen Bezugspunkt für die Wut und den Schmerz suchte, die ihm seine Mutter eingeimpft hatte. Aber wenn das zutraf, warum hatte mich dann der Anblick des Buchs, der vom Wind umgeblätterten Seiten so verstört?
Weil ich nicht bedacht hatte, dass er sich etwas anderes in diesem Album angeschaut hatte, nicht nur die Fotos der bei Sharpsburg und Spotsylvania gefallenen Soldaten der Konföderierten und der Union?
Ich blätterte zwei Seiten zurück und sah plötzlich ein Foto von einem schmalen Haus mit einem Säulenportal vor mir, das von einem spitzen Eisenzaun umgeben war. Das Bild war 1864 in New Orleans aufgenommen worden, nachdem die Unionstruppen unter General Butler die Stadt besetzt hatten.
Laut der gegenüber von dem Bild stehenden Anmerkung gehörte das Haus einer jungen Frau, einer mutmaßlichen Spionin der Südstaaten, die dort ihren Geliebten, einen entflohenen konföderierten Kriegsgefangenen, vor General Butlers Soldaten versteckte. Der Soldat war schwer verwundet, und als sie feststellte, dass ihre Verhaftung unmittelbar bevorstand, tranken sie beide Gift und starben in einem Himmelbett im ersten Stock.
Ich kehrte zur Dienststelle zurück und rief erneut Dana Magelli beim NOPD an.
»Wir haben Remeta nicht gefunden, weil er sich unmittelbar vor unseren Augen versteckt«, sagte ich.
»Ich wusste doch, dass es so ein Tag wird.«
»Lass gut sein, Dana. Als sich im Quarter ein Cop an ihn gehängt hat, hat er seinen Pick-up abgestellt und ist ins Polizeirevier gegangen. Wie viele Straftäter haben denn derart die Ruhe weg?«
»Nenn mir Straße und Hausnummer, dann schauen wir vorbei.«
»Er bildet sich ein, er wäre irgendein konföderierter Kriegsheld und meine Tochter wäre seine Freundin.
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