Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
gesehen«, sagte ich.
»Ein Opfer?«
»Damit hält man die Monster fern, die im Wald hausen.«
»Denkst du über Letty Labiche nach?«
»Über uns alle, glaube ich.«
30
T ags darauf war Mittwoch. Ich weiß nicht, warum, aber als ich aufwachte, kam ich mir so einsam und verloren vor wie seit vielen Jahren nicht mehr. Es war das gleiche Gefühl, das ich als Kind gehabt hatte, ohne dass ich es den Priestern, den Nonnen oder irgendeinem anderen Erwachsenen, der mir helfen wollte, hätte erklären können. Aber wenn mich diese sonderbaren Anwandlungen überkamen, wenn mir bang ums Herz wurde und ich die Würmer zu spüren meinte, die durch mein Blut wimmelten, war ich felsenfest davon überzeugt, dass die ganze Welt öd und grau war, ohne Sinn und Zweck, beschienen von einer ewig fahlen Wintersonne.
Ich ging durch den Dunst, der zwischen den Bäumen hing, zur Straße hinunter, holte die Zeitung aus dem Briefkasten und schlug sie auf dem Küchentisch auf.
Die Schlagzeile über dem dreispaltigen Aufmacher auf Seite eins lautete: »Gouverneur setzt Hinrichtungstermin für Labiche fest«.
Wenn Belmont Pugh ihr Urteil nicht noch umwandelte, hatte Letty noch genau drei Wochen zu leben.
Ich fuhr durch den Regen zur Dienststelle und sprach mit dem Sheriff, begab mich dann zur Staatsanwaltschaft.
Der Bezirksstaatsanwalt war eine Woche lang weg, und die Stellvertreterin, die ich erreichte, war Barbara Shanahan, mitunter auch bekannt als Dampframmen-Shanahan. Sie war über eins achtzig groß, hatte Sommersprossen, kurz geschnittene hellrote Haare und trug ein blaues Kostüm und eine weiße Strumpfhose. Sie war fleißig, legte sich ins Zeug und war eine tüchtige Staatsanwältin, und eigentlich mochte ich sie. Aber sie lächelte so gut wie nie und kam im Dienst so forsch zur Sache, dass sie mich an einen Schreiner erinnerte, der einen Sarg mit einer Nagelpistole zusammenzimmert.
»Passion Labiche hat also gestanden, dass sie am Mord an Vachel Carmouche beteiligt war?«, sagte sie.
»Ja.«
»Wo ist es?«, fragte sie.
»Was?«
»Das Geständnis, das Band, was auch immer.«
»Ich habe kein offizielles Geständnis von ihr vorliegen.«
»Und was wollen Sie dann von uns?«, fragte sie.
»Ich wollte Sie auf diese neuen Gegebenheiten hinweisen.«
»Das klingt, als ob Sie jemand vorschickt.«
»Die Sichel, die sie benutzt hat, steckt nach wie vor unter dem Haus.«
»Meiner Meinung nach sollten Sie aus dem Polizeidienst ausscheiden. Werden Sie lieber Strafverteidiger. Dann können Sie von Berufs wegen den Dreck hinter diesen Leuten wegräumen. Reden Sie mit dem Staatsanwalt, wenn er wieder da ist. Er wird Ihnen sagen, dass in drei Wochen die Richtige eine Spritze gesetzt bekommt. Ich empfehle Ihnen, sich damit abzufinden«, sagte sie.
Es regnete nach wie vor, und durch das Fenster konnte ich die alten Grüften auf dem St. Peter’s Cemetery sehen, die schweren Tropfen, die auf den Ziegeln tanzten.
»Passion hat die Wahrheit gesagt«, sagte ich.
»Gut. Bringen Sie alles unter Dach und Fach, dann klagen wir sie wegen Mordes an. Gibt’s sonst noch was?«, erwiderte sie, kehrte mir den Rücken zu und steckte irgendwelche Aktenordner in ihren Schrank.
Doch Barbara Shanahan sollte mich überraschen. Und Connie Deshotel desgleichen, die mich kurz vor Feierabend anrief.
»Ihre stellvertretende Bezirksstaatsanwältin hat sich bei mir gemeldet. Sie sagt, Sie hätten neue Beweise im Fall Carmouche«, sagte sie.
»Beide Schwestern haben ihn umgebracht«, sagte ich.
»Wissen Sie das ganz genau?«
»Ja.«
»Geben Sie mir etwas Schriftliches an die Hand. Ich werde es dem Gouverneur vorlegen.«
»Warum machen Sie das?«, fragte ich.
»Weil ich die Generalstaatsanwältin von Louisiana bin. Weil ich nicht möchte, dass ich bei einem Todesurteil auch nur den geringsten strafmildernden Umstand übersehe.«
»Ich möchte Passion Straffreiheit anbieten können«, sagte ich.
»Das müssen Sie mit Ihrer Staatsanwaltschaft ausmachen.«
»Belmont meint, er käme vielleicht als Vizepräsident in Frage. Er wird sich nicht so leicht umstimmen lassen.«
»Das müssen Sie mir sagen«, sagte sie.
Nachdem sie aufgelegt hatte, zog ich meine Jacke an und wollte gehen. Ich schaute auf den Regen draußen vor dem Fenster und auf das Laub, das durch den Friedhof stob. Helen Soileau öffnete die Tür zu meinem Büro und beugte sich herein.
»Kannst du mich ein Stück mitnehmen, Boss?«
»Klar. Aus welchem Grund sollte Connie Deshotel Letty
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