Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
verschwand.
»Wir hören schon seit zwei Stunden, wie da drin Munition hochgeht. Wie viel davon in einer Waffe war, können wir bloß raten. Wenigstens zwei Schüsse haben ein Feuerwehrauto getroffen. Ein weiterer ging durch das Fenster eines Nachbarn«, sagte er.
Der Wind drehte, und er wandte den Kopf ab, räusperte sich kurz und spuckte in den Rinnstein.
»Tja, ihr wisst ja, was euch da drin erwartet. Wollt ihr’s euch anschauen?«, sagte er.
»Ich nehme an, heute Mittag gibt’s keine Rippchen«, sagte Helen.
Magelli, zwei Cops in Uniform sowie Helen und ich gingen durch das Eisentor mit den spitzen Stäben und stiegen mit gezogenen Waffen die Treppe in den ersten Stock hinauf. Doch der oberste Absatz war teilweise durch ein Haufen verbrannter Bretter und Putz versperrt. Ein Feuerwehrmann in einem wasserdichten Schutzmantel drängte sich an uns vorbei, räumte einen Durchgang frei und trat die Tür auf.
Der Geruch, der dahinter herrschte, passte nicht hierher, weder in die Zeit noch an diesen Ort. Stattdessen musste ich an ein Dorf auf der anderen Seite des Meeres denken, und ich meinte Enten zu hören, die erschrocken durcheinander quakten, und das Mahlen schwerer Stahlketten an einem gepanzerten Fahrzeug.
Der Brand war vermutlich im oder beim Gasherd ausgebrochen, sodass die ganze Küche aussah wie eine aus weicher Kohle gehauene Höhle. Die Konserven in der Speisekammer waren geplatzt, die Splitter der zersprungenen Einmach- oder Marmeladengläser hatten sich wie Zähne in die Wände gegraben. Ein Teil des Daches war ins Wohnzimmer gestürzt und hatte einen am Fenster stehenden Schreibtisch halb unter sich begraben. Am Boden, zwischen Hunderten von Messingpatronen, Fensterglasscherben und einem Flechtwerk verkokelter Teppichfasern, lagen die Überreste zweier Repetiergewehre, deren Magazine mit geschmolzenem Blei gefüllt waren, einer .45er und einer Neun-Millimeter-Pistole mit zurückgefahrenem Verschlussstück und offenem Patronenlager.
Ein Feuerwehrmann würgte unter seinem Helmvisier, als wir uns dem vorderen Fenster näherten. Ich drückte mein Taschenbuch an Mund und Nase und dachte an Wasserbüffel und Grashütten, an Reis in geflochtenen Körben und eingepferchte Schweine, an den kerosinartigen Geruch des Flammenstrahls, der von einem Fahrzeug, das wir Zippo-Panzer nannten, in weitem Bogen auf ein Dorf geworfen wurde, und an einen anderen Geruch, süß und Ekel erregend wie von einer Talgsiederei. Dann zerrte der Feuerwehrmann mit der Spitze seiner Axt einen Haufen durchnässter Trümmer vom Schreibtisch weg, und aus dem Fußraum unter dem Schreibtisch stieg ein alles durchdringender Gestank auf, so dicht und schwer, dass man ihn geradezu auf der Haut zu spüren meinte, wie eine Wolke aufgeschwirrter Insekten.
»Ich entschuldige mich für die Bemerkung da draußen«, sagte Helen, die bewusst an der zusammengekrümmten Gestalt unter dem Schreibtisch vorbeischaute, nachdem sie einen kurzen Blick darauf geworfen hatte.
»Ist das Remeta?«, fragte Magelli.
Vom Gesicht des Mannes war nicht viel übrig geblieben. Der Kopf war haarlos, die Haut schwarz und verbrannt. Er hatte die Unterarme an die Ohren gepresst, als wäre aus den Flammen ein Ton gekommen, den er nicht hören wollte. Die Wucherung rund um das rechte Auge sah aus wie ein verkohlter und verschrumpelter Biskuit.
»Er war eine Monstrosität. Ich habe mich in ihm getäuscht«, sagte ich.
Magelli blickte verständnislos zu mir auf.
»Das ist Micah, Jim Gables Chauffeur. Er hat früher in einem Monstrositätenkabinett gearbeitet. Er hat mir erklärt, die Menschen hätten Eintritt bezahlt, um sich sein verunstaltetes Gesicht anzusehen, damit sie ihre eigene Hässlichkeit nicht anzuschauen brauchten.«
»Und?«
»Er war beim Jahrmarkt. Der wusste genau, dass er jemand wie Remeta nicht ausnehmen kann. Er wurde hergeschickt, um ihn umzubringen«, sagte ich.
»Willst du etwa sagen, dass Gable ihn gedungen hat?«, sagte Magelli.
»Ein Cop, der eine ganze Familie umlegen lässt? Nie und nimmer. Ich fass es nicht, dass ich hier mal Politesse gewesen bin«, sagte Helen.
31
A m nächsten Morgen rief ich bei Clete im Motel an, aber niemand nahm den Hörer ab. Als ich es später noch mal versuchte, meldete sich eine Frau.
»Passion?«, sagte ich.
»Was wollen Sie?«
»Wo ist Clete?«
»Er schläft. Lassen Sie ihn in Ruhe.«
»Geht’s nicht ein bisschen freundlicher?«, sagte ich.
»Ich richte ihm aus, dass Sie angerufen haben. Jetzt
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